Das Bundespatentgericht eine Nichtigkeitsklage gegen ein Patent auf Produktion von L-Glutaminsäure vollständig abgewiesen. Es handelt sich um ein Patent zur biotechnischen Produktion von Geschmacksverstärker E 620, vielfach eingesetzt in Fertiggerichten.
Patent auf biotechnologischer Produktion von Geschmacksverstärker
Das Bundespatentgericht (BPatG) hat mit seinem jetzt veröffentlichten Urteil die Klage auf Nichtigkeit gegen das mit Wirkung für Deutschland wirkende Europäische Patent EP 1 831 250 abgewiesen. Patentinhaber und Beklagte ist die Ajinomoto Co., Inc. (Japan), Inhalt und Titel des Streitpatents ist „Mikroorganismus und Verfahren zur Produktion von L-Glutaminsäure“.
Als Lebensmittelzusatz wird L-Glutaminsäure (E 620) als Geschmacksverstärker eingesetzt, besonders in der asiatischen Küche und bei Fertiggerichten, vor allem zu finden in Fertigsaucen, Fertiggerichten, Knabbersnacks und Fertiggemüse. Insofern hat dieses Urteil große Relevanz für alle Hersteller von Lebensmitteln.
Bekanntes Wissen um das yggB-Gen
Patentrechtlich und technisch ging es um die 12 Patentansprüche des Patents, darunter auch das mutierte yggB-Gen des geltenden Patentanspruchs 1. Als Nichtigkeitsgrund macht die Klägerin mangelnde erfinderische Tätigkeit geltend und berief sich auf bekanntes Wissen und entsprechende zahlreiche Veröffentlichungen (bezeichnet als NK9 bis NK 54), die vor der Patentanmeldung bzw. vor der beanspruchten Priorität des Streitpatents (Dezember 2004) öffentlich bekannt gemacht wurden.
Die Klägerin machte vor allem geltend, dass von den Autoren der NK13 (D. Nottebrock et al., FEMS Microbiology Letters, (2003) 305 bis 309) festgestellt worden, dass Corynebacterium glutamicum die zwei mechanosensitiven Kanäle MscL und MscS/YggB besitze, die homolog zu den entsprechenden Kanälen in E. coli seien. Ergänzend dazu offenbare die Druckschrift NK14 (S. Ruffert et al., European Journal of Biochemistry, (1997) 572 bis 580), dass der Ausstrom von Glutamat im Corynebacterium glutamicum durch einen mechanosensitiven Kanal beschränkt sei und dieser Kanal dem MscS/YggB-Kanal von E. coli ähnle.
Berücksichtigt ein Fachmann Notfallreaktion bei hypoosmotischem Schock?
Nach Auffassung der Beklagten Ajinomoto Co., Inc., suche ein Fachmann nach einem verbesserten Herstellungsverfahren für Glutamat und berücksichtige daher Kenntnisse nicht über die Notfallreaktionen von Zellen bei hypoosmotischem Schock. Denn sämtliche in der Fachwelt bekannten Aminosäure-Exporter seien der Klasse der Carrier zuzuordnen.
Auch die im Stand der Technik beschriebenen „Gain of Function“-Mutanten im MscS/YggB-Kanal oder MscL-Kanal von E. coli vermittelten dem Fachmann keine Anregung, die in Richtung der patentgemäßen Lösung weise, da die Bakterien dadurch so stark geschädigt würden, dass sie kaum überlebensfähig seien.
Veröffentlichungen zum Exportsystem von Corynebakterien relevant
Das Bundespatentgericht sah als relevant für diesem Fall die veröffentlichten Druckschriften an, die sich mit der Ausschleusung von Glutaminsäure aus Corynebakterien befassen, da Glutaminsäure großtechnisch stets aus dem Kulturmedium gewonnen wird, führte das Gericht aus. Außerdem sehe sich der Fachmann veranlasst, bei seiner Suche nach einer Lösung für die patentgemäße Aufgabe weitere Druckschriften in Betracht zu ziehen und zwar solche, die sich mit dem Exportsystem von Corynebakterien befassen.
Keine Erwartung, dass Glutamat-Ausstoß Kanalaktivität steigert
Ein Fachmann habe jedoch keine Anregung dafür, dass durch die Aktivierung von osmoregulatorischen Kanälen in coryneformen Bakterien der Glutamat-Ausstoß verbessert werden kann, urteilte das BPatG. Zweifel am Erfolg eines solchen Vorgehens hege der Fachmann auch deshalb, weil in der Fachliteratur die Meinung vorherrscht, dass die Ausschleusung von Glutamat aus coryneformen Bakterien durch einen sog. Carrier vermittelt wird, der – anders als ein Kanal – Substanzen unter Einsatz von Energie auch entgegen eines Konzentrationsgradienten nach außen schleusen kann, während Substanzen über einen Kanal aus dem Zellinneren nur dann nach außen gelangen, wenn deren Konzentration in dem die Zelle umgebenden Medium geringer ist als im Zellinneren.
In der vor allem von der Klägerin geltend gemachte Druckschrift NK14 werde zwar die fachliche Meinung geäußert, dass der unter hypoosmotischem Schock für den Efflux kleiner gelöster Moleküle zuständige Kanal im Corynebacterium glutamicum dem MscS (= mechanosensitive channel of small conductance)-Kanal von E. coli – der in der Fachliteratur auch als YggB-Kanal bezeichnet wird – ähneln könne. Und einem Fachmann sei auch die Homologie von mechanosensitiven Kanälen in E. coli und im Corynebacterium glutamicum bekannt.
Aber die Autoren von NK 14 geben selbst an, dass E. coli unter einem schweren hypoosmotischen Schock nahezu alle Moleküle geringer Molekülmasse ausschleust, während das Corynebacterium glutamicum unter diesen Bedingungen Moleküle nach wie vor selektiv freisetzt. Ein Fachmann verbinde mit dem Kanal nicht die Erwartung, dass sich mit dessen Hilfe der Glutamat-Ausstrom im Corynebacterium glutamicum unter den Bedingungen einer fermentativen Glutamat-Produktion erhöhen lässt, führte das Gericht aus.
Kein Analogieschluss zwischen E. coli und coryneformen Bakterien
Ebensowenig habe es nach Ansicht des Gerichts für den Fachmann nahegelegen, Alanin-Reste in der Transmembranhelix TM3 des Corynebacteriums glutamicum durch Helix-destabilisierende Reste wie Threonin oder Valin auszutauschen – denn es gebe in den Veröffentlichungen NK15 bis NK17 keinen Analogieschluss zwischen den Beobachtungen zum MscS/YggB-Kanal in E. coli und dem dazu homologen MscS/YggB-Kanal in coryneformen Bakterien.
Es bestehe zwar kein Zweifel daran, dass dem Fachmann die molekulare Basis für eine Öffnung mechanosensitiver Kanäle durch eine gezielte Mutagenese im Bereich der die Pore des Kanals bildenden Transmembranhelix TM3 bekannt ist, ebenso auch die für den Erhalt solcher GOF-Mutanten erforderlichen Techniken. Doch trotz dieser Kenntnis finde sich in der NK36 aber keine Anregung dafür, in der TM3 des MscS/YggB-Kanals von coryneformen Bakterien nach entsprechenden GOF-Mutanten zu suchen, erläuterte das BPatG.
Nichtkeitsklage wurde abgewiesen vom BPatG
Die Nichtigkeitsklage gegen das Patent auf biotechnische Produktion von Geschmacksverstärker E620 wurde vollständig abgewiesen. Gegen das Urteil des BPatG kann Berufung eingelegt werden, es ist daher zwar vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages, aber noch nicht rechtskräftig. Das Patent „Mikroorganismus und Verfahren zur Produktion von L-Glutaminsäure“ bleibt daher in Kraft.
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Quellen:
Urteil des BPatG 3 Ni 21/17 (EP)
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