Ein neuer Einspruchsgrund im Beschwerdeverfahren ist – wenn überhaupt – nur zulässig mit Zustimmung des Patentinhabers. Doch wie sieht es aus, wenn sich der neue Einspruchsgrund mangelnder erfinderische Tätigkeit auf dasselbe Dokument bezieht wie die in der angefochtenen Entscheidung angeführten Gründe der mangelnden Neuheit?
Es ist scheint Aufwand und Zeit zu sparen und setzt die Gegenpartei effizient unter Druck, wenn man in einem Patentverfahren zunächst entweder auf mangelnde erfinderische Tätigkeit abzielt und dann auf mangelnde Neuheit oder auch anders herum. Zulässig ist dies aber – wenn überhaupt – grundsätzlich nur mit Zustimmung des Patentinhabers.
Eine Beschwerde, die in keinem Zusammenhang mit den in der angefochtenen Entscheidung angeführten Gründen (mangelnde erfinderische Tätigkeit) steht und nur auf einen neuen Einspruchsgrund (mangelnde Neuheit) gerichtet ist, der auf einem neuen Dokument beruht, gilt als neuer Widerspruch und ist nicht zulässig in dem laufenden Verfahren.
Doch wie sieht es aus, wenn sich ein neuer Einspruchsgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit auf dasselbe Dokument bezieht wie die in der angefochtenen Entscheidung angeführten Gründe der mangelnden Neuheit?
Der Sachverhalt
Das war der entscheidende Streitpunkt im vorliegenden Fall, der kürzlich vor dem Europäischen Patentamt entschieden wurde. Im Fall T 184/17 um ein Europäisches Patent (EP 2384133) (ein Patent auf ein Verfahren zum Teeaufbrühen in Kapseln) wurde die mangelnde erfinderische Tätigkeit von der Beschwerdegegnerin erstmals in der Beschwerde geltend gemacht.
Dieser Einspruchsgrund bezog sich auf dieselben Passagen desselben Dokuments des Standes der Technik, das in dem früheren und erfolglosen Einwand der mangelnden Neuheit verwendet wurde. Der Patentinhaber gab jedoch nicht die Zustimmung zur Einführung des neuen Einspruchsgrunds in das Verfahren und machte stattdessen geltend, dass es sich um eine neue Beschwerde handele.
Neuer Einspruch im Beschwerdeverfahren- ohne Zustimmung?
Dies warf die Frage auf, ob der neue Einspruch unter diesen Umständen ohne Zustimmung des Patentinhabers in das Beschwerdeverfahren zugelassen werden kann. Denn grundsätzlich dürfen im Beschwerdeverfahren neue Einspruchsgründe nur mit dem Einverständnis des Patentinhabers geprüft werden (siehe G10/91).
In Bezug auf neue Einspruchsgründe stellte die Große Beschwerdekammer zudem in der Entscheidung G7/95 fest, dass mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit, obwohl beide unter Artikel 100(a) EPÜ fallen, unterschiedliche rechtliche Einspruchsgründe sind.
Richtungsweisende Entscheidungen der Beschwerdekammer
Ein Blick in weitere richtungsweisende Entscheidungen der Beschwerdekammer zeigt die Umsetzung dieser Rechtsprechung. In T 1029/14 argumentierte der Beschwerdeführer zum ersten Mal während des Beschwerdeverfahrens, dass der Gegenstand von Anspruch 1 keine erfinderische Tätigkeit habe. Dieser Einwand wurde nicht in das Verfahren zugelassen (nach Art. 13(3) RPBA 2007) und mit Verweis auf T 448/03.
In einem weiteren Fall (siehe T 350/13) wurde zudem entschieden, dass die Tatsache, dass der Patentinhaber zu irgendeinem Zeitpunkt inhaltlich auf den neuen Einspruchsgrund reagierte, nicht als implizite oder verbindliche Zustimmung zur Einführung dieses Einspruchsgrunds interpretiert werden konnte.
Wenn jedoch der Beschwerdeführer bereits in der Einspruchsschrift darauf hingewiesen habe, dass dem beanspruchten Gegenstand die erfinderische Tätigkeit fehle, falls er als neuartig befunden werde, wird dieser Einwand in das Beschwerdeverfahren zugelassen (T 131/01; T 597/07).
Und im Fall T 448/03, in dem die erfinderische Tätigkeit im Einspruchsverfahren überhaupt nicht diskutiert wurde, sondern ebenfalls erstmals im Beschwerdeverfahren, wurde der neue Einspruchsgrund nicht zugelassen – unabhängig davon, dass das Dokument, das als Ausgangspunkt für den Einwand bezüglich der erfinderischen Tätigkeit verwendet wurde, dasselbe Dokument war, das zuvor zum Angriff auf die Neuheit verwendet wurde.
Neuer Einspruchsgrund im gleichen sachlichen und beweiskräftigen Rahmen
Im vorliegenden Fall jedoch war nicht nur dasselbe Dokument der Ausgangspunkt für den ursprünglichen Einspruchsgrund wie auch für den neu erhobenen Einspruchsgrund, sondern beide Einspruchsgründe bezogen sich auf nur das eine selbe Dokument und dieselben Passagen.
Daher sei der sachliche und beweiskräftige Rahmen im Wesentlichen derselbe, entschied die Beschwerdekammer. Wenn ein Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit im gleichen sachlichen und beweiskräftigen Rahmen eines in der Einspruchsschrift ordnungsgemäß erhobenen und begründeten Neuheitseinwandes bleibt, könne ein Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausnahmsweise im Beschwerdeverfahren ohne Zustimmung des Patentinhabers geprüft werden, urteilte die Beschwerdekammer. Dies gelte auch, wenn – wie vorliegend – der Grund der erfinderischen Tätigkeit weder in der Einspruchsschrift geltend gemacht und begründet noch im Einspruchsverfahren erörtert wurde.
Dies bedeute allerdings nicht, dass der Grund mangelnder erfinderischer Tätigkeit, der vom gleichen Stand der Technik ausgeht, immer implizit in einer ordnungsgemäß begründeten Behauptung mangelnder Neuheit enthalten ist, ergänzte die Beschwerdekammer. Entscheidend sei, dass der neu erhobene Einwand im gleichen sachlichen und beweiskräftigen Rahmen eines in der Einspruchsschrift ordnungsgemäß erhobenen und begründeten Neuheitseinwandes bleibt.
Die Kammer beschloss daher, den erhobenen Einwand der erfinderischen Tätigkeit in das Beschwerdeverfahren, (Artikel 114(1) EPÜ) ohne Zustimmung des Patentinhabers einzubeziehen.
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