Das BPatG hat ein Computer Verfahren zur Data Identifizierung mit Wortprozessor für nichtig erklärt – nachdem das Patent durch Zeitablauf erloschen war. Eine Nebenintervenientin konnte ebenfalls dem Gerichtsverfahren beitreten – auch nach dem Zeitablauf.
Das europäische Patent 1 171 836 wurde im August 2021 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt (BPatG, 7 Ni 36/19 (EP) verbunden mit 7 Ni 37/19 (EP), öffentlich seit 10.12.2021).
Das Streitpatent EP 1 171 836 trägt die Bezeichnung „Function Key for Computer Data Handling“ (Funktionstaste zur Computer-Databearbeitung) in der Klassifikation „Converting codes to words“. Es wurde am 2. September 1999 als internationale Anmeldung PCT/NO99/00273 angemeldet, entsprechend ist es im September 2019 durch Zeitablauf erloschen.
Gleichwohl konnte die Nebenintervenientin 1 dem Nichtigkeitsverfahren 7 Ni 36/19 (EP) gegen dieses Patent auf nach Ablauf des Patents im September 2020 beitreten; sie begründete dies damit, sie werde von einer Lizenznehmerin der Beklagten wegen Verletzung des Streitpatents vor dem Landgericht Düsseldorf in Anspruch genommen. Zwei Klägerinnen und zwei Nebenintervenientinnen griffen das Streitpatent in Deutschland an mit je einer Nichtigkeitsklage an, die beiden Nichtigkeitsklagen wurden vom Gericht zu einem Verfahren verbunden.
Das Streitpatent: Data Identifizierung
Das Streitpatent beschreibt ein Verfahren zum Bereitstellen eines Funktionselements in einem Wordprozessor, gebunden an eine Benutzeroperation. Es handelt sich um ein Verfahren zum Einfügen und Ergänzen von Daten innerhalb eines Anwendungsprogramms auf einem Computer, insbesondere eines Wortprozessors oder Textverarbeitungsprogramms, die Patentschrift nennt z. B. Microsoft Word, Notepad, Excel, Wordpad, WordPerfect, Quattro Pro oder Ami Pro.
Computer Data Identifizierung: unzulässige Erweiterung?
Die Klägerinnen machten zum einen unzulässige Erweiterung der ursprünglichen Patentanmeldung des Streitpatents geltend. Erst in den Merkmalen des Streitpatents sei eine Einschränkung auf eine Benutzer Identifizierung nur einer Adresse oder eines Namens eingefügt; in der ursprünglichen Patentanmeldung konnte ein Benutzer noch durch viele unterschiedliche Angaben identifiziert werden. Dies sei keine zulässige Konkretisierung, machten die Klägerinnen geltend.
Die Inhaberin des Streitpatents widersprach. Für die technische Ausgestaltung des erfindungsgemäßen Suchprogramms mache es insbesondere keinen Unterschied, erklärte sie, ob es nur nach Namen und Adressen oder auch darüberhinausgehend auch noch nach weiteren adress- bzw. namensbezogenen Informationen suche. Der dahinterstehende Algorithmus zur Data Identifizierung sei derselbe.
Das Bundespatentgericht bezog sich in seiner Entscheidung zu diesem Klageeinwand auf eine europäische Entscheidung. Zwar möge aus der der Streitpatentschrift hervorgehen, dass entweder „nur Namen“ oder „nur Adressen“ als Suchbegriffe verwendet werden, nicht aber „nur Namen und nur Adressen“. Daher würden in dem vorliegenden Streitpatent ausschließlich Namen und/oder Adressen (und nichts Anderes) identifiziert (in Anlehnung an die Entscheidung T 1779/09), entschied das BPatG.
Merkmal M1.3.1 sei daher nicht als Aliud einzuordnen, weil damit kein neuer technischer Aspekt eingeführt wird. Vielmehr handele es sich im vorliegenden Fall um eine bloße Beschränkung, weswegen Merkmal M1.3.1 im Patentanspruch 1 des Streitpatents verbleiben kann.
Allerdings leistet Merkmal M1.3.1 keinen technischen Beitrag, ergänzte das Gericht, und ist daher bei der Prüfung der Erfindung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen.
Computer Data: Gegenhaltung durch Druckschrift
Allerdings wurden dem Streitpatent auch mehrere relevante Druckschriften entgegengehalten, insbesondere die Druckschrift HLNK8 (HLNK8 = US 5 579 467 A). Diese Druckschrift beschreibt ebenfalls ein Verfahren in einem Wordprozessor und von der Lehre der Druckschrift HLNK8 unterscheidet sich die Lehre nach dem erteilten Patentanspruch 1 nach Ansicht des BPatG allenfalls noch dadurch, dass in dem vom Benutzer eingegebenen Text nicht wie in der Druckschrift HLNK8 nach den fünf Klassen von Informationselementen (persons, (geographic) locations, events, times and dates) gesucht wird, sondern die Suche ausschließlich auf Personennamen und/oder Orte bzw. Adressen beschränkt sein soll.
Die Frage jedoch, ob das darin beschriebene Programm zur Analyse von Textobjekten einen integralen Bestandteil des Wortprozessors bilden oder ob es sich dabei um ein eigenständiges, vom Wortprozessor separiertes Softwaremodul handeln soll, richte sich nicht an den für das Streitpatent unterstellten Fachmann, einen Entwicklungsingenieur. Die Frage betreffe vielmehr die Programmiertechnik als solche, entschied das BPatG, die dem technischen Entwickler im Rahmen einer Spezifikation von einem Systemdesigner vorgegeben wird. Und weil das verbliebene Unterschiedsmerkmal entsprechend zu einer technischen Problemlösung nichts beiträgt, sei es bei der Prüfung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen, entschied das Gericht.
Daher wurde der Klage wegen mangelnder Patentfähigkeit stattgegeben (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a EPÜ i. V. m. Art. 54, 56 EPÜ). Das europäische Patent 1 171 836 wurde vom BPatG mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
Klage nach Erlöschen des Patents: zulässig?
Die Klagen der Klägerinnen zu 1 und zu 2 sind auch nach dem Erlöschen des Streitpatents aufgrund Zeitablaufs am 2. September 2019 weiterhin zulässig. Auch der Beitritt der Nebenintervenientinnen zu 1 und 2, gegen den die Beklagte keine Einwände erhoben hat, ist zulässig, da die Kläger ein berechtigtes Rechtsschutzinteresse haben, der für eine Klage nach Erlöschung eines Patents grundsätzlich erforderlich ist.
Auch zu den Voraussetzungen einer Nebenintervention im Patentnichtigkeitsverfahren äußerte sich das BPatG abschließend. Zulässig sei eine Nebenintervention im Patentnichtigkeitsverfahren, wenn der Nebenintervenient ein Unternehmen ist und im Wettbewerb durch das Streitpatent beeinträchtigt werden kann (vgl. BGH GRUR 2006, 438 – Carvedilol I).
Zwar hatte die die Nebenintervenientin 1 vor ihrem Beitritt schon eine eigene Nichtigkeitsklage eingereicht hatte (7 Ni 7/20 (EP). Dies sei aber zulässig, erklärte das BPatG, da bei dieser Konstellation die eigene Nichtigkeitsklage für den Nebenintervenienten im Vergleich zu einem Beitritt im Berufungsverfahren keine effizientere Rechtsschutzmöglichkeit darstellt, weil bei üblichem Verlauf im Berufungsverfahren mit einer früheren Entscheidung über die Wirksamkeit des Patents zu rechnen sei.
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Quellen:
BPatG BPatG, 7 Ni 36/19 (EP) verbunden mit 7 Ni 37/19 (EP)
Bild:
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