Am heutigen Tag entscheiden die Bürger Großbritanniens über den Verbleib in der Europäischen Union. Doch was passiert, wenn das Vereinigte Königreich nicht mehr Teil der EU ist? Gibt es für Patent- und Markeninhaber Folgen und wenn ja, mit welchen Konsequenzen kann man rechnen? In unserem zweiten Teil zeigen wir Ihnen Szenarien für Inhaber von Gemeinschaftsgeschmacksmustern, das geplante Europäische Patent und prozessuale Detailfragen auf.
Bereits in unserem ersten Teil haben wir Ihnen eine Einleitung zum Thema „Brexit“ gegeben, erklärt was passiert, wenn es ein Austritts-Abkommen gibt und wahrscheinliche- und unwahrscheinliche Szenarien für die Unionsmarke und die Unionsmarkenverordnung dargelegt.
Im zweiten Teil wollen wir Ihnen mögliche Konsequenzen für Gemeinschaftsgeschmacksmustern, das geplante Europäische Patent und prozessuale Detailfragen aufführen.
Mögliche Option für das eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster
Für das eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGM) gelten im Prinzip die gleichen Erwägungen wie für die Unionsmarke. Einen Unterschied gibt es jedoch: Gemeinschaftsgeschmacksmuster haben eine Gesamtdauer von maximal 25 Jahren, was bedeutet, dass bei einer Fortsetzung der Bestimmungen der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung die Souveränität Großbritanniens nicht allzu sehr eingeschränkt werden würde – genauer gesagt 25 Jahre minus X.
Wie für die Unionsmarke, wäre die beste Lösung die territoriale Einschränkung des Gemeinschaftsgeschmacksmusters (alle Mitgliedsstaaten außer Großbritannien) gepaart mit einem nationalen, britischen „registered Design“, das gleiche Rechte (und Pflichten) für Inhaber von GGM bietet.
Die Zusammenhänge beim Gemeinschaftsgeschmacksmuster / Quelle: Gabler Wirtschaftslexikon
Mögliche Option für das NICHT eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster
Für das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster gelten im Grunde die gleichen Bestimmungen, allerdings ist hier die Laufzeit deutlich kürzer – nämlich nur drei Jahre. Der Fortbestand nicht registrierte GGM wäre eine pragmatische Alternative. Allerdings würde auch hier die Idee eines zweiten Schutzrechts, also eines „unregistered Designs“ im Vereinigten Königreich möglich. Das britische unregistered Design bietet sogar 15-jährigen Schutz.
Für Mitgliedstaaten, die keinen nationalen Schutz für unregistrierte Designs bieten, wäre es anders: Hier entstünde eine Schutzlücke.
Brexit: Auswirkungen auf das europäische Patent
Für das europäische Patent ergeben sich im Falle des Austritts eines Mitgliedstaates aus der EU keine Besonderheiten, da die Mitgliedschaft in der EU keine Voraussetzung für die Teilnahme am System der Europäischen Patentorganisation ist (10 der derzet 38 Mitgliedstaaten der Europäischen Patentorganisation sind keine EU-Mitgliedstaaten).
Zudem erhält der Patentanmelder ein Bündel nationaler Patente, er hat also bereits ein nationales britisches Patent. Es besteht somit kein Bedarf an der Umwandlung bzw. der nachträglichen Schaffung eines nationalen britischen Patents.
Konsequenzen für das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung (EU-Patentgericht)
Ganz anders ist die Situation beim EU-Patent und EU-Patentgericht. Im Juli 2016 soll die Probephase für beide Großprojekte beginnen. Damit diese Einheitsverordnungen aber in Kraft treten, müssen die drei Mitgliedstaaten mit der höchsten Anzahl an Europäischen Patenten das Übereinkommen ratifizieren.
Zu den Top 3 gehören Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Die Briten haben das Großprojekt noch nicht ratifiziert, sodass das Gesamtkonstrukt zusammenfallen kann oder zumindest um Jahre verschoben werden muss. Wir haben dieses Szenario in einem früheren Artikel bereits ausführlich behandelt, lesen Sie bitte dazu hier mehr.
Prozessuale Detailfragen
Die Veränderung im territorialen Schutzbereich der einheitlichen europäischen Schutzrechte kann auch zu prozessualen Besonderheiten führen: Bislang handelte es sich hierbei um Ausweitungen des Schutzbereichs für die zum Zeitpunkt der Osterweiterungen existierenden Gemeinschaftsmarken und Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Ein Rechteinhaber, der noch vor der jeweiligen Osterweiterung eine auf seine damalige Gemeinschaftsmarke gestützte Unterlassungsklage eingereicht hatte, über die erst NACH dem Beitritt der neuen Mitgliedstaaten entschieden wurde, bekam im Ergebnis mehr zugesprochen, als er beantragt hatte.
Der Antrag, „es zu unterlassen, um Bereich der EU die Bezeichnung … zu verwenden„, bezog sich noch auf die Union vor dem Beitritt. Der gleichlautende Tenor des stattgegebenen Urteils bezog sich aber bereits auf das Territorium der Union nach dem Beitritt. Die Markenrechtsinhaber werden sich im Zweifel darüber nicht beschwert haben. Rechteinhaber in den beigetretenen Mitgliedstaaten wurden dadurch geschützt, dass älteren Marken oder sonstigen älteren Rechten in den neuen Mitgliedstaaten ein Vorrang vor der erstreckten Gemeinschaftsmarke eingeräumt wurde.
Findet hingegen eine Einschränkung des territorialen Schutzbereichs eines einheitlichen europäischen Schutzrechts statt, würde ein Rechteinhaber mit einem vor VOR dem Austritt Großbritanniens eingereichten (gleichlautenden) Antrag eventuell bei einem nach dem Austritt Großbritanniens stattgegebenen Urteils gleichen Tenors weniger erhalten, als er tatsächlich beansprucht hat.
In einem solchen Fall würde es auch nicht ausreichen, dass der Kläger rechtzeitig seinen Klageantrag modifiziert und diesen hinsichtlich des britischen Territoriums auf die neu entstandene nationale britische Marke stützt. Dies würde man zwar nach dem deutschen Prozessrecht nicht als Klageänderung, sondern als einen Fall des § 264 Nr. 3 ZPO ansehen, da aufgrund einer später eingetretenen Veränderung ein anderer als der ursprünglich geforderte Gegenstand gefordert wird.
Das löst das Problem jedoch nicht, da ein deutsches oder sonstiges britisches Gericht keine Zuständigkeit für die Beurteilung der Verletzung nationaler britischer Schutzrechte besitzt. Reicht der Kläger NACH dem Austritt Großbritanniens vor Ort eine weitere Klage wegen Verletzung der nationalen britischen Marke ein, stellen sich weitere Fragen, bspw. ob überhaupt eine Wiederholungsgefahr der Verletzung der britischen Marke vorliegt, wenn die Unionsmarke bislang lediglich in anderen Teilen der Union verletzt wurde, oder ob die ursprüngliche Einreichung der Klage wegen Verletzung der Unionsmarke auch bzgl. der neu geschaffenen nationalen britischen Marke verjährungshemmend wirkt.
Auswirkungen des Brexit auf EU-Schutzrechte: Ein Fazit
Bei einem ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der EU (sehr unwahrscheinlich) drohen Inhabern von einheitlichen europäischen Schutzrechten Schutzlücken, da ihre Schutzrechte nicht mehr das Territorium des austretenden Mitgliedstaates umfassen würden. In dem wahrscheinlicheren Szenario, also das es zu einem genau abgestimmten Austrittsabkommens kommt, bestehen verschiedene Möglichkeiten, die Interessen Großbritanniens, der EU sowie der Schutzrechtsinhaber in eine für alle Parteien zufriedenstellende Balance zu bringen.
Das wahrscheinlichste Szenario wäre die Hinnahme der Einschränkung des territorialen Schutzbereichs der einheitlichen europäischen Schutzrechte bei gleichzeitiger Schaffung eines entsprechenden nationalen britischen Schutzrechts mit gleicher Priorität. Gleichzeitig sollten prozessuale Übergangsregelungen geschaffen werden, um Schutzlücken zu vermeiden. Letztlich wird die Situation lediglich für alle Beteiligten etwas komplizierter werden, wie wahrscheinlich auch in allen anderen von einem möglich Austritt Großbritanniens betroffenen Bereichen.
Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es tatsächlich NICHT zu einem „Brexit“ kommen wird. Wie bereits in Schottland wird man auch in Großbritannien noch rechtzeitig vor dem Referendum erkennen, dass die Vorteile gemeinsamen Handels deutlich überwiegen und die europäischen Probleme am Ende doch gemeinsam gelöst werden müssen.
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Quelle: GRUR Int. 6/2016, Sönke Ahrens „Mögliche Konsequenzen der Krise der Europäischen Union für die einheitlichen europäischen Schutzrechte des geistigen Eigentums am Beispiel des Brexit-Szenarios“
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