Die Briten haben sich für den Brexit ausgesprochen, Großbritannien wird bald nicht mehr Teil der Europäischen Union sein. Doch welche Auswirkungen hat dieser Schritt auf das geplante europäische Patentgerichtssystem? Und was bedeutet das für europäische Patente und deren Inhaber?
Kurz vor Schluss
Eine der größten Änderungen betrifft das europäische Patentgerichtssystem, den Unified Patent Court (UPC), der das erste gemeinsame Zivilgericht der Union werden sollte. Verträge waren bereits unterzeichnet, die sechsmonatige Probephase sollte in wenigen Wochen starten – doch der Plan wurde durch den Austritt der Briten unterbrochen. Denn um schlussendlich in Kraft treten zu können braucht es die Ratifizierungen von Deutschland, Frankreich UND Großbritannien.
Allerdings könnte sich der Start bis zu drei Jahre verzögern – so lange darf London sich Zeit lassen, bis die Austrittsverhandlungen abgeschlossen sein müssen. Es bleibt zu hoffen, dass in diesem Zuge nicht noch mehr europäischen Ländern die Lust auf Europa vergeht und die Pläne des UPC zunichte werden. Die wichtigsten Patentprozesse laufen in London und vor einem renommierten deutschen Patentgericht. Daher ist sich die europäische Patentgemeinschaft sicher, dass der UPC ohne Großbritannien an Wert verliere und ihm die hohe Expertise britischer Patentrichter und -anwälte verloren ginge.
Britische Patentexperten kämpfen für UPC
Zur finalen Zustimmung zum UPC durch die britische Regierung fehlt nicht mehr viel: die Verfahrensordnung ist ausgearbeitet, die Gesetze haben Ober- und Unterhaus passiert, doch die Meinung der neuen Regierung zum UPC ist momentan unklar.
Patentexperte Kevin Mooney organisiert deswegen Treffen aller wichtigen Entscheidungsträger des Königreichs in Patentfragen. Sie wollen Politiker unterstützen, die richtigen Entscheidungen zu treffen – für eine Teilnahme Großbritanniens am UPC. Dies solle laut Mooney so schnell wie möglich geschehen, bevor das Projekt eines gemeinsamen Patentgerichtssystems scheitere.
Ungewissheit auch in Deutschland
13 Staaten müssen den Vertrag ratifizieren, zehn (einschließlich Frankreich) haben das bereits getan. Niederlande, Irland und Italien treiben die Umsetzung in nationales Recht voran. Somit wäre die Mindestgrenze erreicht. Die Bundesregierung will den Prozess bis zum Jahresende abschließen, jedoch ist nicht sicher, dass die beiden dazu benötigten Gesetze den Bundestag ohne weiteres passieren werden. Gründe könnten die immer europakritischere Stimmung im Land sein, als auch ein Ass im Ärmel bei Brexit-Verhandlungsgesprächen zu haben. Es ist derzeit alles offen. Viele deutsche Patentexperten halten es außerdem für ausgeschlossen, dass die britische Regierung Teil des europäischen Patentgerichts aber nicht der EU sein möchte. Die britischen Patent-Experten betreiben mit aller Kraft Lobbyarbeit für eine Teilhabe am UPC.
So könnten die Briten doch noch teilnehmen
Sobald der EU-Austritt vollzogen ist, wird es sehr schwer für die Briten, doch noch am UPC teilzuhaben. Laut Vertrag dürfen nämlich Nicht-EU-Staaten weder beitreten noch assoziieren. Experten kennen allerdings eine Lücke im Vertrag. Das EuGH-Gutachten sowie der UPC Vertrag äußern sich nicht dazu, was mit Staaten geschieht, die als EU-Mitglieder am Gericht teilnehmen, dann jedoch austreten. Hier liegt die Chance für das Vereinigte Königsreich, trotz Brexit am UPC teilzunehmen.
Die Idee von Winfried Tilmann, der auch intensiv an der Ausarbeitung der Verfahrensordnung beteiligt war, sieht vor, dass das Einheitspatent (auch EU-Patent genannt) künftig im Rahmen des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) auf Grundlage eines Europäischen Patents durch das Europäische Patentamt erteilt wird. So können die 26 teilnehmenden EU-Staaten auf Basis des EPÜ ein einheitliches Patent mit einem klassischen europäischen Patent, mit Wirkung in Großbritannien, kombinieren. Das Vereinigte Königreich müsste lediglich bei seinem EU-Austritt alle Pflichten des UPC-Vertrags anerkennen und mitnehmen – also auch den Vorrang des Unionsrechts und die Auslegungszuständigkeit der EuGH. Die Kosten des Einheitspatents sollen außerdem geringer sein als beim bisherigen System.
Probleme, die trotzdem bestehen
Voraussetzung für das Gelingen von Tilmanns Idee ist, dass London den UPC-Vertrag schnell ratifiziert. Außerdem bleibt die Frage, ob Kammern des Zentralgerichts, wie ursprünglich geplant, wirklich in London ansässig sein können. Bis jetzt gibt es keine Beispiele von Nicht-EU-Staaten, die Sitz einer EU-Institution sind. Auch britische Richter wissen nicht ob sie Beamte der Union werden können. Die Chancen stehen sehr schlecht. Allerdings gelten sie als hochqualifiziert – die EU könnte sie in ihren Reihen gebrauchen.
Die Kosten für Patentanmelder werden in jedem Fall steigen. Zusätzlich zu dem Verfahren vor dem UPC käme ein sehr teures Verfahren vor einem britischen Patentgericht auf sie zu. Somit lohnt sich teilweise der Gang zum UPC gar nicht. Nationale Klagen sind somit günstiger und wahrscheinlicher.
Sicher ist allerdings in jedem Fall, dass die Inbetriebnahme des UPC einige Zeit später stattfinden wird als ursprünglich vermutet. Unter welchen Bedingungen, das wird sich noch zeigen.
Quellen: Juve, August 2016 | EPO.org
Bildquellen: eplaw.com | pexels.com
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