Der EuGH urteilte heute im „deutschen Gurkenstreit“ über Einspruchsverfahren gegen Änderung der Spezifikation wie einer geografisch geschützten Angabe. Wer hat ein „berechtigtes Interesse“ für ein Einspruchsverfahren im Sinne der relevanten EU Verordnung? Ist eine Popularklage möglich?
Vor dem höchsten Europäischen Gericht (EuGH) standen sich im „deutschen Gurkenstreit“ die „Spreewälder Gurken“ und Hengstenberg gegenüber. Rechtlich ging es um die Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 (Art. 53 Abs. 2 Unterabsatz 1 in Verbindung mit Art. 49 Abs. 3 Unterabsatz 1 und Abs. 4 Unterabsatz 2) in Bezug auf Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel. In Kurzfassung war dabei die Kernfrage: Wer hat einen Anspruch auf Klage und Einspruchsverfahren gegen Änderung der Spezifikation wie einer geografisch geschützten Angabe?
Der Sachverhalt
Die Bezeichnung „Spreewälder Gurken“ ist seit dem 19. März 1999 als geschützte geografische Angabe für unverarbeitetes und verarbeitetes Gemüse im Register der geschützten Ursprungsbezeichnungen und der geschützten geografischen Angaben eingetragen.
Im Februar 2012 wurde dazu von dem Verband der „Spreewälder Gurken“ beim Deutschen Patent- und Markenamt eine Änderung der Spezifikation beantragt. Dagegen legte die Klägerin Hengstenberg Widerspruch ein, scheiterte damit aber bisher, zuletzt vor dem Bundespatentgericht; allerdings wurde Rechtsbeschwerde zugelassen (BPatG 2018, 30 W(pat) 36/15). So kam der Fall vor den Bundesgerichtshof (BGH), der dazu den Begriff „berechtigtes Interesse“ zur Auslegung vor dem EuGH vorgelegt hat.
Einspruchsverfahren gegen Änderung der Spezifikation: Wer hat berechtigtes Interesse?
Der Erfolg der Rechtsbeschwerde hängt nach Meinung des BGH davon ab, wie das „berechtigte Interesse“ in Art. 49 Abs. 3 Unterabsatz 1 und Abs. 4 Unterabsatz 2 in Verbindung mit Art. 53 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 auszulegen ist. Darf sich auch jede natürliche oder juristische Person darauf berufen? Oder nur Wirtschaftsbeteiligte, die vergleichbare Erzeugnisse oder Lebensmittel herstellen wie die Wirtschaftsbeteiligten, für die eine geschützte geografische Angabe eingetragen ist? Und: Sind „Ortsfremde“ von vornherein von der Geltendmachung eines berechtigten Interesses ausgeschlossen?
Einspruchsverfahren gegen Änderung der Spezifikation
Grundsätzlich sind Änderungen von Spezifikationen möglich, dagegen können aber auch Einspruchsverfahren geführt werden. Sind die vorgeschlagenen Änderungen geringfügig, wird im Mitgliedsstaat und auf Unionsebene ein vereinfachtes Verfahren durchgeführt (Art. 53 Abs. 2 Unterabsatz 2 Verordnung [EU] Nr. 1151/2012 und Art. 6 Abs. 2 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 664/2014); ein Einspruchsverfahren findet dann nicht statt (September 2019, C-785/18)).
Im deutschen Markenrecht sind die Vorgaben des Unionsrechts zur Beteiligung von Personen mit einem berechtigten Interesse im Verfahren der Eintragung geschützter geografischer Angaben sowie im Verfahren über Anträge auf nicht geringfügige Änderungen ihrer Spezifikationen im Markengesetz durch die Vorschriften der § 130 Abs. 4 Satz 2 und § 133 Satz 2 in Verbindung mit § 132 Abs. 1 MarkenG umgesetzt. Demnach hat jede natürliche oder juristische Person das Recht auf ein Einspruchsverfahren gegen Änderungen der Spezifikation, die nicht geringfügig sind. Voraussetzung dafür ist stets ein „berechtigtes Interesse“.
Unionsrecht sieht Anspruch auf Klage vor
Dies bedarf einer Auslegung durch den EuGH, entschied der BGH, denn das Unionsrecht sieht eine gerichtliche Überprüfbarkeit als grundsätzlich erforderlich auch in Bezug auf eine Handlung wie einen Antrag auf Änderung der Spezifikation, der eine notwendige Stufe im Verfahren zum Erlass einer Unionsmaßnahme darstellt. Eine entsprechende Klage wäre folglich als zulässig anzusehen, selbst wenn die innerstaatlichen Verfahrensvorschriften dies in einem solchen Fall nicht vorsehen (vgl. EuGH, Oleificio Borelli/Kommission 1992; GRUR Int. 2002, -Carl Kühne [Spreewälder Gurken]).
BGH möchte Popularklage ausschließen
Nach Ansicht des BGH folgt aus Art. 49 Abs. 4 Unterabsatz 2 Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 jedoch nicht, dass eine Popularklage ermöglicht werden müsste. Das aber wäre der Fall, wenn jede natürlich oder juristische Person klagen könnte gegen wesentliche Änderungen von Spezifikationen.
Und wenn „Ortsfremde“ von einem Anspruch auf Einspruchsverfahren gegen Änderung der Spezifikation ausgeschlossen wären, würde dies zudem die Möglichkeit zum Missbrauch bieten. Denn man könnte dann eine geografische Angabe zunächst mit einer aufwändigen oder strengen Produktspezifikation eintragen lassen, um diese später in einem Änderungsverfahren „aufzuweichen“, im Rahmen dessen Ortsfremde keine Einspruchsmöglichkeit mehr hätten.
Daher hält der BGH für den richtigen Ansatz, nur wirklichen Wettbewerbern innerhalb desselben Endverbraucherkreises ein Einspruchsverfahren möglich zu machen – und zwar Wettbewerbern innerhalb desselben Endverbraucherkreises, ohne Unterscheidung nach Ortsfremden.
EuGH: echte wirtschaftliche Betroffenheit muss vorliegen
Der EuGH urteilte heute mit einem differenzierten Urteil: zwar stehe die Klagemöglichkeit eines Einspruchsverfahrens gegen eine nicht geringfügige Änderung der Spezifikation grundsätzlich jeder natürlichen oder juristischen Person zu, urteilte der EuGH – aber nur, wenn eine Wahrscheinlichkeit dazu vorliegt, dass diese natürliche oder juristische Person ein „berechtigtes Interesse“ begründen kann für eine wirkliche wirtschaftliche Betroffenheit. Diese Wahrscheinlichkeit für eine wirtschaftliche Betroffenheit sei von dem vorlegenden – also dem nationalen – Gericht zu prüfen.
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Quellen:
Urteil des EuGH, EU:C:2021:279
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