Der EuGH hatte 2009 mit dem Urteil Lindt/Sprüngli und 2019 mit der Entscheidung ‚KOTON‘ Grundsätze für die Feststellung von Bösgläubigkeit bei Anmeldung einer Unionsmarke festgelegt. Jetzt wendete der EuG diese Grundsätze an: markenrechtliche Bösgläubigkeit in der Praxis.
Immer wieder wird bei markenrechtlichen Streitigkeiten auch der Vorwurf der Bösgläubigkeit erhoben. Das befördert nicht nur einen Imageschaden für den Beklagten – denn ihm wird ja unredliches, verwerfliches Verhalten vorgeworfen – sondern es ist vielmehr ein markenrechtlicher Begriff „Bösgläubigkeit“ (siehe Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009), der allerdings nicht einfach zu erfassen oder nachzuweisen ist.
EuGH Rechtsprechung zur ‚Bösgläubigkeit‘
Bereits im berühmten Urteil Lindt & Sprüngli um den Lindt Goldhasen hatte der EuGH bereits 2009 ein Leitsatzurteil zur Bösgläubigkeit gesprochen. Auch in der EuGH Entscheidung KOTON von 2019 wurden diese Grundsätze vertieft. Demnach ist die Absicht des Anmelders zum Zeitpunkt der Anmeldung als ein subjektives Tatbestandsmerkmal zu sehen, das anhand der objektiven Fallumstände bestimmt werden muss. Stets ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen.
Erhebliche objektive Faktoren sind:
- Wusste der Anmelder oder hätte er wissen müssen, dass seine EU Marke einer anderen sehr ähnlich ist?
- Wird die jüngere Marke nur zur Verhinderung des Markteintritts Dritter angemeldet?
- Welchen Grad an Schutz genießen die Streitmarken?
Auch der Zeitraum spielt eine Rolle; ist die ältere Marke schon seit langem im Markt etabliert – oftmals als bekannte Produktmarke – ist es wahrscheinlicher, dass mit der jüngeren Markenanmeldung unlauterer Wettbewerb und unlautere Ausnutzung der Marken Reputation verfolgt wird. Das kann ein Indiz für Bösgläubigkeit sein, ist es aber nicht zwingend, erläuterte der EuGH, denn der Markenanmelder könne auch in so einem Fall ein berechtigtes Ziel verfolgen.
Schließlich ist auch die Art der angemeldeten Marke zu berücksichtigen. In dem Fall nämlich, dass das betreffende Zeichen in der Gesamtform und Aufmachung einer Ware besteht, ließe sich die Bösgläubigkeit des Antragstellers leichter bejahen, erklärte der EuGH.
Bösgläubigkeit auch ohne Verwechslungsgefahr
Vor allem aber konkretisierte der EuGH in seinen ‚Bösgläubigkeit‘ Leiturteilen zwei Aspekte:
Für einen Antrag auf Nichtigerklärung wegen ‚Bösgläubigkeit‘ ist es keineswegs erforderlich, dass der Antragsteller Inhaber einer älteren Marke für die gleichen oder ähnliche Waren bzw. Dienstleistungen ist. Vor allem aber kann laut EuGH Bösgläubigkeit auch dann vorliegen, wenn keine Verwechslungsgefahr zwischen den Streitmarken nachgewiesen ist.
In dem jetzt vor dem Europäischen Gericht (EuG) entschiedenen Fall ‚Agate‘ ging es um die markenrechtliche Bösgläubigkeit in der Praxis.
Bösgläubigkeit in der Praxis
Klägerin, die Univers Agro Ltd (Bulgarien) hatte 2017 die Unionsmarke ‚Agate‘ für „Autoreifen [Reifen]“ eintragen lassen. Gegen diese Markeneintragung stellte die Streithelferin, die Shandong Hengfeng Rubber & Plastic Co. Ltd. (China) einen Antrag auf Nichtigerklärung und berief sich dabei auf die eigene ältere chinesische Bildmarke mit dem Wortbestandteil „Agate“, die in Bulgarien im geschäftlichen Verkehr für Reifen der Klasse 12 benutzt werde.
Die Nichtigkeitsabteilung und auch die Beschwerdekammer des EUIPO gaben der Streithelferin aus China Recht. Ihr sei der Nachweis gelungen, dass die angefochtene Marke bösgläubig im Sinne der genannten Bestimmungen angemeldet worden sei, da diese Marke mit dem Ziel angemeldet worden sei, das Fehlen eines formellen Schutzes der Marke der Streithelferin in Bulgarien auszunutzen, indem ihre Kunden und der von ihrem Geschäftspartner und Vertreiber, der Omnifak Ltd, geschaffene Marktanteil gekoppelt würden. Denn die EU Marke der bulgarischen Klägerin wurde nur 14 Tage nach Eintragung für einen Antrag auf Zwangsmaßnahmen gegen die chinesische Streithelferin genutzt und auch als Basis für eine Verletzungsklage gegen den Vertriebshändler Omnifak.
Gegen diese Entscheidung klagte die bulgarische Univers Agro vor dem Europäischen Gericht (EuG).
Kenntnis von der chinesischen Marke im bulgarischen Markt?
Es könne nicht unterstellt werden, dass sie Kenntnis von der Nutzung der chinesischen Marke in Bulgarien hätte haben können, argumentierte die Univers Agro – die Zahl der von Omnifak im Zeitraum 2014 bis 2017 unter der Marke AGATE verkauften Reifen liege unter 0,06 % der Gesamtzahl der jährlich nach Bulgarien eingeführten Reifen. Die Beschwerdekammer habe in dieser Hinsicht einen Beurteilungsfehler begangen.
Doch vergeblich, der EuG wies diesen Klagegrund zurück. Die Klägerin habe in keiner Weise dargelegt und auch kein konkretes Ereignis dafür nennen können, dass sie erst nach ihrer Markenanmeldung Kenntnis von der Benutzung der chinesischen Marke Agate in Bulgarien erlangt hat. Stattdessen habe sie in auffällig kurzer Zeit die Maßnahmen gegen die Streithelferin eingeleitet, stellte der EuG fest.
Absichten bei der Markenanmeldung
Auch der zweite Klagegrund, mit der ein Beurteilungsfehler in Bezug auf die Absichten der Klägerin zum Zeitpunkt der Anmeldung der streitigen Marke gerügt wurde, hatte keinen Erfolg vor dem EuG. Vergeblich machte die Klägerin geltend, es seien Faktoren und Umstände einbezogen worden, die gemäß EuGH Leitsätzen zur Bösgläubigkeit nicht hätte berücksichtigt werden dürfen – und andererseits ein wichtiger Umstand nicht berücksichtigt worden.
Die Klägerin argumentierte, dass die Streithelferin kein Interesse am EU-Markt habe und ihr einziges Ziel darin bestehe, wiederum sie von diesem Markt auszuschließen. Ihren Recherchen zufolge habe die Streithelferin seit 2009 mindestens 90 Anmeldungen für mindestens acht verschiedene Marken für Waren der Klasse 12 in verschiedenen Ländern eingereicht. Alle diese Marken wurden in Bulgarien und in der Europäischen Union angemeldet, obwohl die Streithelferin vor der Eintragung der angefochtenen Marke keine Anmeldung für die Marke Agate in Bulgarien eingereicht hatte.
Der EuG wies diesen Klagegrund dennoch zurück. Entscheidend ist, dass die Klägerin nicht in der Lage war, die von der Streithelferin vorgelegten Beweise für die Benutzung der chinesischen Marke Agate in Bulgarien in Frage zu stellen.
Der EuG wies daher die Klage der bulgarischen Markenanmelderin vollständig zurück.
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Quellen:
EuGH ‚Bösgläubigkeit‘ in Lindt Spüngli (2009, C:2009:361)
EuGH ‚Bösgläubigkeit‘ in KOTON (2019, C:2019:724)
EuG ‚Bösgläubigkeit‘ im Fall Agate, (29. September 2021, EU:T:2021:633)
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