Aktuell verliert Gilead Sciences, Inc. den Rechtsbestand des ergänzenden Schutzzertifikats für den Aids-Blockbuster TRUVADA® sowohl in Deutschland als auch in Europa, aus der Sicht des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs. Das Urteil des Bundespatentgericht ist allerdings noch nicht rechtskräftig.
Vor dem Bundespatentgericht (BPatG) siegten in erster Instanz die vier klagenden Generikahersteller gegen das amerikanische Pharmazie- und Biotechnologieunternehmen Gilead Sciences, Inc. (Aktenzeichen Az.: 4 Ni 12/17 , noch nicht veröffentlicht). Im Mittelpunkt des Rechtsstreits stand der Rechtsbestand des ergänzenden Schutzzertifikats für das Kombinationsarzneimittel und Blockbuster Aids-Präparat TRUVADA®, welches zur HIV-Behandlung und zur HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe zugelassen ist. Dieses Medikament ist vor allem so erfolgreich und bekannt, weil es als einziges Medikament auch zur Prävention vor der Ansteckung mit HIV zugelassen ist.
HIV-Präventions-Blockbuster seit 2017 generisch zugelassen
Sieben Generikahersteller bieten bereits seit dem 1. August 2017 ihre Version des HIV-Blockbusters Truvada an: Hexal, Betapharm, Hormosan, Zentiva, Aliud, TAD und Mylan. Auch in Österreich folgte man dem deutschen Modell und machte die HIV-Prophylaxe durch den günstigeren Preis der Generika auch für die notwendige tägliche Einnahme zugänglich. Denn um die Volksgesundheit zu berücksichtigen, soll der gewährte Schutz streng auf das Erzeugnis beschränkt sein, für das die Genehmigung für das Inverkehrbringen als Arzneimittel erteilt wurde.
Bundespatentgericht erklärt Gileads ESZ für nichtig
Gegen die generische Zulassung wehrte sich Gilead vor dem deutschen Gericht. Das amerikanische Pharmaunternehmen sieht seinen Patentschutz verletzt, der durch ein ESZ geschützt sei. Denn Truvada® kombiniert die Wirkstoffe Tenofovirdisoproxil und Emtricitabin. Der Wirkstoff Emtricitabin wird auch durch das Grundpatent geschützt. Strittig aber ist, ob auch die Wirkstoffkombination mit Emtricitabin patentrechtlich geschützt ist, denn auf diese Kombination bezieht sich das angegriffene ESZ von Gilead.
Doch nun hat das Bundespatentgericht durch Urteil vom 15.05.2018 (Aktenzeichen 4 Ni 12/17, verbunden mit 4 Ni 14/17, 4 Ni 19/17 und 4 Ni 21/17) das für die Wirkstoffzusammensetzung zweier antiretroviraler Wirkstoffe (Tenofovir Disoproxil und Emtricitabin) erteilte und angegriffene Arzneimittel-Schutzzertifikat für nichtig erklärt. Ein ESZ dürfe nur umfassen, was auch im Grundpatent geschützt ist. Damit hat Gilead kein ausschließliches Vermarktungsrecht für Arzneimittel mit diesen Wirkstoffen mehr.
Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Gegen dieses Urteil kann noch Berufung zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe eingelegt werden.
Schlussantrag des Generalanwalts
Dem jetzigen deutschen Urteil vorangegangen war bereits Ende April der Schlussantrag des Generalwalts Melchior Wathelet, der dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) empfahl, dass Schutzzertifikate für Wirkstoffe, die nicht im Wortlaut des Grundpatents genannt sind, nicht erteilt werden sollten. Auch vor dem Europäischen Gerichtshof droht also ebenfalls eine Niederlage für Gilead.
Gilead argumentiert, das unter das ESZ fallende Erzeugnis – die Wirkstoffkombination mit Emtricitabin – sei durch ein europäisches Patent „geschützt“ im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009.
Klare Auslegung von Art. 3 der Verordnung Nr. 469/2009
Das britische Patentgericht hatte das Gericht in Luxemburg um klare Auslegung dieser Verordnung gebeten. Der Gerichtshof wird sich in seinem Urteil zu den Kriterien äußern, die die Feststellung erlauben, ob ein Wirkstoff oder eine Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels „durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt“ ist im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009. Eine „heikle Frage“ nennt der Generalanwalt dies in seinem Schlussantrag.
Generalanwalt Melchior Wathelet legt in seinem Schlussantrag den Artikel 3a der EU-Verordnung sehr eng aus. Nach seiner Auffassung reicht es für die Erteilung eines ESZ nicht aus, wenn ein Wirkstoff oder eine Stoffzusammensetzung in den Schutzbereich des Grundpatents fällt. Hierfür müsse jeder Wirkstoff „am Prioritätstag des Patents im Wortlaut der Patentansprüche spezifisch und genau identifizierbar sein“.
Auch legt der Generalanwalt Wert darauf, den Unterschied zwischen den Regeln deutlich zu machen, die den Umfang der Erfindung betreffen, und jenen, die Patentverletzungsklagen betreffen. Ein Arzneimittel, das aus den Wirkstoffen A + B besteht, würde ein Patent verletzen und eine Patentverletzungsklage nach sich ziehen, selbst wenn die Patentansprüche nur den Wirkstoff A betreffen. Dagegen falle der Wirkstoff B, der nicht in den Patentansprüchen genannt ist, eindeutig nicht in den Umfang der Erfindung und sei nicht durch das fragliche Patent „geschützt“ im Sinne von Art. 69 EPÜ. Auch wenn ein von einem Patent beanspruchter Stoff verschiedene Varianten aufweise, gelte der Patentschutz nicht notwendigerweise für all diese Varianten, so der Generalanwalt. Die Frage, ob ein Erzeugnis durch ein Patent im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 geschützt ist, sei nicht dieselbe wie die Frage, ob dieses Erzeugnis patentfähig ist.
Folgt der EuGH dem Schlussantrag des Generalanwalts, würde Gilead sein Schutzzertifikat für Truvada nicht nur wie vorläufig in Deutschland, sondern europaweit verlieren. Das Urteil ist für Mittwoch, den 25. Juli zu erwarten: obwohl seit gestern haben die Gerichtsferien begonnen, finden noch immer wichtige Gerichtssitzungen statt.
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Quellen:
Curia Europe: EU:C:2018:278 Teva, Lupin, Mylan (Generics UK) versus Gilead Sciences Inc.
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