Ein Erzeugnis, dass im Grundpatent nicht spezifisch identifizierbar ist, kann nicht als unter dessen Patentschutz stehend angesehen werden – obwohl es unter eine funktionelle Definition der Patentansprüche fällt, urteilte das BPatG im Fall Royalty Pharma im Einklang mit dem EuGH.
Das Bundespatentgericht erhob dieses Urteil zur Leitsatzentscheidung und folgte damit im Übrigen dem gleichlautenden Urteil des höchsten Europäischen Gerichts (EuGH, C‑650/17) vom 30. April 2020. Zwar muss ein Erzeugnis nicht ausdrücklich in den Patentansprüchen erwähnt sein, aber in jedem Fall muss der Fachmann das Erzeugnis im Licht aller durch das Patent offengelegten Angaben nach dem Stand der Technik am Anmelde- oder Prioritätstag des Patents identifizieren können, erläuterte das BPatG seine Entscheidung in Übereinstimmung mit dem EuGH.
Diese Bedingung ist jedoch kaum erfüllbar, wenn es am Anmelde- oder am Prioritätstag noch dieses Erzeugnis noch nicht gab, denn die Tatsache, dass ein Erzeugnis einer funktionellen Definition einer Wirkstoffklasse entspricht (gemäß den Patentansprüchen des Grundpatents) reicht nicht aus, um den Patentschutz des Grundpatents auf dieses Erzeugnis auszuweiten.
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Der Sachverhalt
In dem diesem Urteil konkret vorliegenden Fall ging es um ein Medikament der Royalty Pharma zur Senkung des Blutzuckerspiegels (Stichwort: Diabetes mellitus), konkret durch die Verabreichung von DP-IV‑Inhibitoren. Royalty Pharma hatte passend dazu 1997 mit Erfolg ein Europäisches Patent angemeldet (Europäisches Patent (DE) EP 1 084 705) und darin auch Patentansprüche in Bezug auf die funktionelle Definition „DPIV-Inhibitoren“ formuliert. In diesem Grundpatent wurde drei DPIV-Inhibitoren konkret offenbart sowie die Verwendung aller weiteren bereits bekannten oder noch zu entwickelnden DPIV-Inhibitoren beansprucht.
Erst danach entwickelte – pikanterweise – eine Lizenznehmerin von Royalty Pharma den konkreten DPIV-Inhibitor namens Sitagliptin; die Lizenznehmerin sicherte sich Patentschutz als Stoffpatent für Sitagliptin. Royalty Pharma wiederum beantragte 2014 für Sitagliptin beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) ein ergänzendes Schutzzertifikat (SPC (dt: ESZ)) – auf Grundlage seines Grundpatents.
Das DPMA wies diesen Antrag auf Erteilung des SPC zurück und begründete dies damit, das antragsgemäße Erzeugnis (also Sitagliptin) werde im Grundpatent nicht spezifisch offenbart, dies aber sei erforderlich gemäß Art. 3 (a) der Verordnung (EG) Nr. 469/2009.
Royalty Pharma legte Beschwerde ein gegen diese Entscheidung, in deren Folge dieser Fall auch als Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH vorgebracht wurde. Jetzt entschied auch das Bundespatentgericht (14 W (pat) 12/17).
Klägerin Royalty Pharma machte geltend, zum Schutzgegenstand des Grundpatents gehöre nicht nur die Verwendung der drei konkret offenbarten DPIV-Inhibitoren, sondern ebenso die Verwendung aller weiteren bereits bekannten oder noch zu entwickelnden DPIV-Inhibitoren, wie etwa Sitagliptin. Außerdem sei es für die Inanspruchnahme eines Grundpatents nicht erforderlich, die chemische Bezeichnung oder die Struktur des geschützten Wirkstoffs anzugeben.
Doch das BPatG wies diesen Einwand zurück. Zwar kann ein Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt sein, wenn es einer in einem der Ansprüche des Grundpatents verwendeten allgemeinen funktionellen Definition entspricht, sogar ohne individuell offenbart zu sein, räumte das BPatG ein. Dies sei vorliegend der Fall.
Es ist aber eine kumulative Voraussetzung, dass in einem solchen Fall dennoch das Erzeugnis in spezifischer Weise durch einen Fachmann identifizierbar sein muss, und so hatte ja auch der EuGH Art. 3 (a) der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 ausgelegt. Dieses Kriterium sei vorliegend nicht erfüllt, urteilte das BPatG, einem Fachmann hätten dafür notwenige Informationen gefehlt.
Dies sei keineswegs dadurch zu kompensieren, dass das Erzeugnis unter die funktionelle Definition von DPIV-Inhibitoren falle, urteilte das BPatG.
Zwei Testfragen – kumulativ
Ob die kumulativen Voraussetzungen erfüllt sind, könne laut BPatG leicht durch zwei Testfragen ermittelt werden.
Die erste Testfrage laute: „Entspricht das Erzeugnis einer funktionellen Definition wie sie in einem der Ansprüche des Grundpatents verwendet wird?“. Auch die Frage: „Kann ein Fachmann, wenn ihm das Erzeugnis zur Verfügung gestellt wird, erkennen, dass es unter die funktionelle Definition des Grundpatents fällt?“ gebe diese erste Testfrage wieder.
Patentschutz aber kann nur gewährt werden, wenn auch die zweite Testfrage bejahrt wird: „Ist das Erzeugnis unter Berücksichtigung der durch das Patent offengelegten Angaben für den Fachmann am Prioritätstag spezifisch identifizierbar?“. Dieses Kriterium aus der zweiten Testfrage sei vorliegend nicht erfüllt, urteilte das BPatG und wies die Beschwerde vollständig zurück.
Auch ein ebenfalls zu den DPIV-Inhibitoren ergangenes Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von 2013 (X ZB 8/12) widerspreche dem nicht, erklärte das BPatG. Auch dort werde eine hinreichende Beschreibung gefordert, wenn in den Patentansprüchen lediglich eine funktionelle Definition verwendet werde.
Ein Urteil mit Entscheidungserheblichkeit?
Tatsächlich wäre es spannend, wie der BGH diesen vorliegenden Fall bewerten würde unter Berücksichtigung des EuGH Urteils. Denn in seinem Urteil von 2013 (X ZB 8/12) hatte der BGH betont, dass der Schutzanspruch nicht nur auf konkrete Ausführungsformen beschränkt sei, sondern gewisse Verallgemeinerungen vorgenommen werden dürfen. Einem Fachmann müsse in einem solchen Fall ein Erzeugnis unter Berücksichtigung der Beschreibung und der darin enthaltenen Ausführungsbeispiele als allgemeinste Form der technischen Lehre erscheinen.
Dies könne dann auch dazu führen, dass ein Verwendungsanspruch auch die Verwendung von Stoffen umfasst, die erst zukünftig bereitgestellt werden, hatte der BGH 2013 explizit und als Leitsatzentscheidung geurteilt. Der EuGH dagegen hat am 30.4.2020 entschieden, dass zukünftige Erzeugnisse nicht unter ein Grundpatent fallen könne, wenn sie durch eigenständige erfinderische Tätigkeit entwickelt werden.
Entsprechend ist es nicht verwunderlich, dass die Klägerin die Zulassung einer Rechtsbeschwerde vor dem BGH beantragte wegen der Entscheidungserheblichkeit (§ 100 PatG). Dies wurde jedoch vom BPatG sehr deutlich abgelehnt. Alle für die Entscheidung der Beschwerdesache tatsächlich maßgeblichen Rechtsfragen seien bereits höchstrichterlich geklärt, erklärte das BPatG und verwies im Übrigen auf den politischen Willen. Dieser bestehe nicht darin, jedwede pharmazeutische Forschung zu fördern, sondern lediglich diejenige, die zum erstmaligen Inverkehrbringen eines Wirkstoffs oder einer Wirkstoffzusammensetzung als Arzneimittel führt.
Es ist also offen, ob dieser Fall noch dem BGH vorgelegt wird, eine solche Rechtsbeschwerde könnte sich jedenfalls nicht auf die Entscheidungserheblichkeit beziehen.
Grundlagenforschung kann keine späteren Wirkstoffe beanspruchen
Zudem wies das BPatG ausdrücklich auf zwei weitere Aspekte hin: zum einen ist ja bekanntermaßen der Lizenznehmerin von Royal Pharma ein Stoffpatent auf Sitagliptin gewährt worden, dies sei gar nicht möglich gewesen, wenn Sitagliptin für den Fachmann bereits in dem vorliegenden Grundpatent identifizierbar offengelegt gewesen wäre.
Zum zweiten sei es nicht zulässig, dass dem Fachmann diese Aufgabe durch ein fiktives Zurverfügungstellen des Wirkstoffs abgenommen würde, entschied das BPatG. Die spätere Entwicklung des Wirkstoffs „Sitagliptin“ sei daher als zertifikatsfähig (als SPC) anzusehen, die von der Inhaberin des Grundpatents dafür erbrachte Grundlagenforschung dagegen nicht.
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Quellen:
Urteil des Bundespatentgerichts (BPatG) 14 W (pat) 12/17
Urteil des BGH von 2013, X ZB 8/12
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