Eine Einbeziehung der Gegenseite in ein einstweiliges Verfügungsverfahren ist grundsätzlich erforderlich. Dies gilt sogar dann, wenn wegen besonderer Dringlichkeit eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen darf, urteilte das Bundesverfassungsgericht.
Mit einer heute veröffentlichen Pressemitteilung 44/2020 des Bundesverfassungsgerichts wurde die bisherige Rechtsprechung zur prozessualen Waffengleichheit in einstweiligen Verfügungsverfahren bestätigt. Demnach ist eine Einbeziehung der Gegenseite in das einstweilige Verfügungsverfahren grundsätzlich auch dann erforderlich, wenn wegen besonderer Dringlichkeit eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen darf. Zudem bekräftigt das Bundesverfassungsgericht, dass eine prozessuale Einbeziehung der Gegenseite nur dann gleichwertig durch eine vorprozessuale Abmahnung ersetzt werden kann, wenn Abmahnung und Verfügungsantrag identisch sind.
In dem dieser Entscheidung zugrundliegendem Fall ging es um eine auf einer Homepage veröffentlichte Meldung, gegen die der Vorwurf der falschen Tatsachenbehauptung erhoben wurde mit Abmahnung und einstweiliger Verfügung. Das Landgericht Berlin hatte die einstweilige Verfügung angeordnet ohne vorherige Anhörung des Beschwerdeführers. Dieser Beschluss des Landgerichts Berlin verletze den Beschwerdeführer offenkundig in seinem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, urteilte jetzt das Bundesverfassungsgericht und hob den Berliner Beschluss auf.
Prozessuale Waffengleichheit
Die prozessuale Waffengleichheit sichere als Ausprägung der Rechtsstaatlichkeit und des allgemeinen Gleichheitssatzes im Zivilprozess die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien, führte das BVerfG aus. Dies entspreche auch dem Gehörsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 1 GG. Danach ist in gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende Entscheidung Einfluss zu nehmen. Entbehrlich sei eine vorherige Anhörung nur in Ausnahmefällen, ergänzte das Gericht, wenn eine Anhörung den Zweck der einstweiligen Verfügung vereiteln würde.
Gegenseite vorprozessual eingebunden
Natürlich könne sich die Gegenseite auch vorprozessual zu einem Unterlassungsbegehren äußern. Dann allerdings müsse sichergestellt sein, dass solche Äußerungen dem Gericht vollständig vorliegen, erläuterte das BVerfG. Eine prozessuale Einbeziehung der Gegenseite könne zudem nur dann gleichwertig durch eine vorprozessuale Abmahnung ersetzt werden, wenn Abmahnung und Verfügungsantrag identisch sind. Wenn der Verfügungsantrag auf das vorprozessuale Erwiderungsschreiben argumentativ repliziert, neue Anträge enthält oder nachträglich ergänzt oder klargestellt wird, ist das nicht der Fall, entschied das Bundesverfassungsgericht.
Abmahnung und Verfügungsantrag müssen identisch sein
Im vorliegenden Fall war der Beschwerdeführer außerprozessual abgemahnt worden und er hatte darauf erwidert. Der gerichtliche Antragsschriftsatz reagierte jedoch auf verschiedene Einwände aus dem Erwiderungsschreiben und ging damit über die Abmahnung hinaus. Außerdem war die ursprüngliche Antragsbegründung wesentlich umfassender und differenzierter als das Abmahnschreiben. Daher, so urteilte das BVerfG, war die gebotene Kongruenz des der Entscheidung zugrundeliegenden Antrags zur vorprozessualen Abmahnung ersichtlich nicht gegeben.
Das Gericht ergänzte, dass in Fällen einer ausnahmsweise ohne Einbeziehung der Gegenseite erlassenen einstweiligen Verfügung vor allem die mündliche Verhandlung zeitnah anzuberaumen war. Dies war jedoch nicht erfolgt, und – so fügte das BVerfG hinzu – dies könne auch nicht mit der Corona Situation entschuldigt werden. Corona-Eindämmungsmaßnahmen könnten ein Abgehen von den grundlegenden gerichtlichen Verfahrenspflichten zu keinem Zeitpunkt rechtfertigen.
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Quellen:
PM des Bundesverfassungsgerichts
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