Heute urteilte der EuGH im langjährigen Rechtsstreit um die Nachahmung der Autofelgen von Acacia im Ersatzteilemarkt und die Auslegung der sogenannten Reparaturklausel. Die Reparaturklausel gilt für alle Bauteile – entgegen der bisherigen deutschen Rechtssprechung – WENN die Reparatur der Wiederherstellung des ursprünglichen Aussehens dient. Gleich zwei der großen deutschen Autohersteller sind an diesem Disput beteiligt: Audi AG und Porsche AG.
Der EuGH muss dabei eine zentrale Frage beantworten: können Autohersteller sichtbare Teile des Autos wie die Autofelgen als „eingetragenes Design“ vor Wettbewerbern und Nachahmern im Ersatzteile-Markt schützen? Gleichzeitig berührt diese Frage gleich mehrere wichtige Regelungen im EU-Recht: die Grundsätze des freien Warenverkehrs, den Grundsatz der Effektivität der europäischen Wettbewerbsregeln, die Liberalisierung des Binnenmarkts, ebenso aber auch die einheitliche Anwendung des europäischen Rechts innerhalb der Europäischen Union.
Auslegung der Reparaturklausel im Mittelpunkt des Disputs
Geregelt ist dies durch Art. 110 der Verordnung Nr. 6/2002. Aber die nationalen Gerichte in der EU legten diese nicht in gleicher Weise aus. Das Tribunale di Milano (Gericht Mailand), vor dem Audi AG gegen Acacia vorging, befand (C‑397/16), dass die von der italienischen Acacia Srl hergestellten Felgen unter die Reparaturklausel des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 fielen. Das Landgericht Stuttgart wiederum (C-435/16) vertrat die Ansicht, dass nicht formgebundene Bauteile – wie die im Streitfall in Rede stehenden Felgen – nicht in den Anwendungsbereich der Reparaturklausel gemäß Art. 110 Abs. 1 der genannten Bestimmung fielen. Der EuGH war daher auch dazu aufgerufen, die Auslegung des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 zu präzisieren und für alle EU Mitglieder einheitlich anwendbar zu machen.
Schlussantrag des Generalanwalts
Der Generalanwalt hob in seiner Schlusserklärung hervor, dass diese Reparaturklausel eine Ausnahme vom Schutz des Gemeinschaftsgeschmacksmusters sei und Gegenstand ausführlicher Debatten im Gesetzgebungsverfahren vor dem Erlass dieser Verordnung war – aller nationalen Gesetzgeber. Die Reparaturklausel soll Monopole zugunsten der Rechtsinhaber für Bauelemente von komplexen Erzeugnissen verhindern und damit Wettbewerb und Verbraucherschutz fördern.
Eine Erfordernis, wonach das Bauelement Teil eines komplexen Erzeugnisses sein muss, von dessen Erscheinungsform das geschützte Geschmacksmuster abhängig ist, geht aus dem Wortlaut des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht hervor, stellte der EuGH klar. Das Fehlen dieses Erfordernisses führte dazu, dass die von Audi, Porsche und der deutschen Regierung vorgetragene Auffassung im heutigen Urteil zurückgewiesen wurde. Ein bitteres Urteil für die Autohersteller.
Wegen der zentralen Bedeutung dieses Gesichtspunkts wies der Generalanwalt eindringlich auf die politische Entstehung der fraglichen Verordnung hin. Denn in der ursprünglichen Fassung war der Anwendungsbereich der Reparaturklausel nämlich auf die Bauelemente beschränkt, deren Form durch das Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses festgelegt ist, wie es bei Scheinwerfern der Fall ist. Dieses Erfordernis wurde jedoch gestrichen um sich im EU-Rat über den Erlass der genannten Verordnung politisch einigen zu können – mit einer weitgehenden Liberalisierung des Ersatzteilmarkts. Die endgültige Fassung der Reparaturklausel erfasse daher alle Ersatzteile ohne Beschränkungen hinsichtlich ihrer Form, so der Generalanwalt.
Auch präzisierte der Generalanwalt des EuGH, das „sich der Begriff ‚Bauelement eines komplexen Erzeugnisses‘ nicht auf die Bauelemente beschränkt, deren Form durch das Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses festgelegt ist, sondern jedes Erzeugnis erfasst, das in ein anderes – als ‚komplexes Erzeugnis‘ eingestuftes – Erzeugnis eingefügt ist.“ Darüber hinaus sei es aber erforderlich, dass die Reparatur erfolgt, um dem komplexen Erzeugnis wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen.
Der EuGH urteilte heute:
Wenn ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses mit dem Ziel verwendet wird, die Reparatur dieses komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen, darf ein Hersteller im Rahmen der Reparaturklausel so ein Bauelement herstellen und verkaufen, obwohl dieses Bauelement als Gemeinschaftsgeschmackmuster des Autoherstellers geschützt ist.
Dies ist aber nur erlaubt, wenn ein solcher Hersteller mit großer Sorgfalt sicherstellt,
- dass das Erscheinungsbild des Ersatzteils mit dem ursprünglichen optisch identisch ist
- die Reparatur eines komplexen Erzeugnisses vorliegt, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen
- und wenn der Hersteller zweifelsfrei, klar und und gut sichtbar darauf hinweist, dass die von ihm hergestellten und vertriebenen Bauelemente einem Geschmacksmuster entsprechen, dessen Inhaber er nicht ist.
Nachahmererzeugnis ausschließlich zu Reparaturzwecken?
Nicht von der „Reparaturklausel“ erfasst ist gemäß des Urteils des EuGH jede Verwendung eines Bauelements allein aus Gründen des Geschmacks oder der Neigung, wie zum Beispiel der Austausch eines Bauelements aus ästhetischen Gründen oder zum Zweck der Individualisierung des komplexen Erzeugnisses.
Für den Fall, dass die Autohersteller durch einen solchen Urteilsspruch nicht in bisherigen Weise ihre Ersatzteile vor Nachahmern schützen können, wurde an das EuGH auch bereits folgende Frage gerichtet:
Welche Maßnahmen muss der Anbieter eines Nachahmungsprodukts im Ersatzteilmarkt ergreifen, um objektiv sicherzustellen, dass sein Erzeugnis ausschließlich zu Reparaturzwecken erworben werden kann, nicht aber zur Aufrüstung oder Individualisierung eines Fahrzeugs?
Der EuGH spricht sich für eine sogenannte Sorgfaltspflicht aus. Der sorgfältige Hersteller eines Nachahmerprodukts hätte den Erwerber darüber zu informieren, „dass zum einen in das betreffende Bauelement ein Geschmacksmuster aufgenommen ist, dessen Inhaber er nicht ist, und dass zum anderen das Bauelement ausschließlich mit dem Ziel verwendet werden soll, die Reparatur des komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen“.
Ob dies praktikabel wäre, wird die Umsetzung zeigen. In jedem Fall konnte der EuGH mit dem heutigen Urteil die wichtige und langjährige Frage zur Interpretation Reparaturklausel klären.
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Quellen:
Curia Rechtssache C-397/16: Acacia vs. Audi AG
Curia Rechtssache C-435/16: Acacia vs. Porsche AG
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