Vor dem Europäischen Gerichtshof wurde eine wichtige Frage für alle Markeninhaber entschieden. Muss die durch Benutzung der Marke erworbene Unterscheidungskraft einer EU-Marke in jedem EU Mitgliedstaat nachgewiesen werden? Es handelt sich um den entscheidenden Abschluss einer jahrelangen Auseinandersetzung zwischen Nestlé und Mondelez.
Hintergrund des Disputs
Nestlé SA erhielt im Juli 2006 eine Eintragung als EU Gemeinschaftsmarke als dreidimensionale Marke (vier identische, auf einer rechteckigen Grundfläche angeordnete Trapezbleche) in der Klasse 30 für die Waren „Süßwaren, Backwaren, Gebäck, Kekse, Kuchen, Waffeln“. Gegen die Eintragung als „Schokolade, Schokoladenerzeugnisse, Süßwaren, Süßigkeiten“ erhob das EUIPO Einwände, veröffentlichte aber die gewünschte Anmeldung von Nestlé im Blatt für Gemeinschaftsmarken Nr. 3/2006.
Im März 2007 dann stellte Cadbury Schweppes plc (jetzt Mondelez UK Holdings & Services) einen Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit der erteilten Marke. Die Nichtigkeitsabteilung des EUIPO stimmte dem Antrag zu und erklärte im Januar 2011 die Marke für ungültig.
Nestlé legte dagegen Beschwerde ein und erhielt Recht: im Dezember 2012 hob die Zweite Beschwerdekammer des EUIPO die Entscheidung wieder auf.
Damit wiederum war Mondelez nicht einverstanden und zu kam der Fall vor den Europäischen Gerichtshof. Im Dezember 2016 kam es zu einem Urteil vor dem EuGH in diesem Fall: Der EuGH hob die Entscheidung der Beschwerdekammer auf, Nestlé unterlag vor Gericht.
Streitpunkt: Nachweis der Unterscheidungskraft durch Benutzung der Marke
Im Mittelpunkt der Verhandlung vor dem EuGH stand wie auch schon im Urteil aus 2016 die Frage, die ob die angefochtene Marke durch Benutzung in der Europäischen Union Unterscheidungskraft erlangt habe. Festgestellt wurde, dass die angefochtene Marke durch ihre Benutzung in Dänemark, Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Österreich, Finnland, Schweden und dem Vereinigten Königreich Unterscheidungskraft erlangt hatten.
Dies reiche aber nicht zur Beweiskraft aus, argumentierte der EuGH schon 2016. Denn obwohl in den genannten EU-Ländern fast 90% der europäischen Einwohner leben, sind doch nur 10 der 28 Länder berücksichtigt. Daher, so lautete das Urteil 2016, hatte die Beschwerdekammer einen Rechtsfehler begangen, als sie der angefochtenen Marke Unterscheidungskraft bestätigt hatte.
Im heute verhandelten Fall ficht Nestlé das Urteil vom Dezember 2016 an und verweist auf einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 3 und 52 Abs. 2 der Unionsmarkenverordnung. Konkret richtet sich Nestlé „gegen die Entscheidung des Gerichts, dass, was den Umfang des Gebiets betreffe, in dem eine durch Benutzung einer Marke erlangte Unterscheidungskraft nachzuweisen sei, die durch Benutzung der Marke erlangte Unterscheidungskraft im gesamten Gebiet der Europäischen Union, also in allen betroffenen Mitgliedstaaten, nachgewiesen werden müsse.“
Mündlich verhandelt wurde darüber seit Anfang 2018, das Urteil wurde mit Spannung erwartet. Denn die Frage, ob die Unterscheidungskraft einer Marke in allen EU-Mitgliedstaaten nachgewiesen muss oder nicht, ist für viele Markeninhaber wichtig.
EuGH: die Klage von Nestlé wird abgewiesen
Der EuGH wies die Klage von Nestlé ab. Es sei zwar nicht erforderlich, dass für die Eintragung einer Marke gemäß Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009, die keine originäre Unterscheidungskraft in allen Mitgliedstaaten der Union hat, für jeden einzelnen Mitgliedstaat nachgewiesen wird, dass sie durch Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat, räumte das Gericht ein. Dennoch müssen die vorgebrachten Beweismittel den Nachweis ermöglichen, dass die Unterscheidungskraft in allen Mitgliedstaaten der Union erlangt wurde, ergänzte der EuGH.
Dabei können insbesondere auch Wirtschaftsbeteiligten im Hinblick auf bestimmte Waren oder Dienstleistungen mehrere Mitgliedstaaten im gleichen Vertriebsnetz zusammengefasst sein und diese Mitgliedstaaten besonders aus der Sicht ihrer Marketingstrategien behandelt werden, als ob sie einen einzigen und einheitlichen nationalen Markt darstellen würden, erläuterte das Gericht. Auch schreibe keine Bestimmung der Verordnung Nr. 207/2009 vor, dass die Verkehrsdurchsetzung mit unterschiedlichen Beweisen für jeden einzelnen Mitgliedstaat nachgewiesen wird. Daher sei auch nicht auszuschließen, dass Beweismittel dafür, dass ein bestimmtes Zeichen infolge der Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat, für mehrere Mitgliedstaaten, ja sogar die gesamte Union, einen Aussagewert hat.
Jedoch muss die die Unterscheidungskraft einer Unionsmarke geografisch repräsentativ sein, urteilte der EuGH. Für eine Marke, die keine originäre Unterscheidungskraft in der gesamten Union hat, ist demnach die Verkehrsdurchsetzung für das gesamte Unionsgebiet und nicht nur für einen wesentlichen oder überwiegenden Teil des Unionsgebiets nachzuweisen.
Daher reiche es nicht aus, sich darauf zu beschränken, Beweismittel für eine Verkehrsdurchsetzung vorzulegen, die einen Teil der Union nicht abdecken – selbst wenn es sich nur um einen einzigen Mitgliedstaat handelt, obwohl ein solcher Nachweis alle betreffenden Mitgliedstaaten umfassend oder aber für verschiedene Mitgliedstaaten oder Gruppen von Mitgliedstaaten einzeln erbracht werden kann.
Ähnlich hatte sich auch bereits der Generalanwalt in seinem Schlussantrag vom 19. April 2018 geäußert: Für einen quantitativ und geografisch hinreichenden Nachweis des Erwerbs von Unterscheidungskraft durch Benutzung in der gesamten Union sei diese Vielfalt innerhalb der Union für jede Ware und Dienstleistung zu berücksichtigen, hatte der Generalanwalt entschieden.
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Quellen:
Urteil des EuGH vom 25. Juli 2018, EU:C:2018:596
C-84/17 P – Schlussantrag des Generalanwalts
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