Gilt die Ausnahme von der Warenverkehrsfreiheit auch gegen neuere Beitrittsstaaten? Der Generalanwalt des EuGH urteilte in der vergangenen Woche im Konflikt um die Einfuhr des Arzneimittels Enbrel® von Pfizer Pharmaceuticals. Doch ebenso wurden wichtige Fragen zum Patentrecht in der EU beurteilt: Paralleleinfuhren und das Patentrecht in neueren Beitrittsstaaten der EU.
Denn im Grunde ging es auch um die brisante Frage, welche Regeln gelten für ein Produkt, das in einem alten EU Mitgliedstaat geschützt ist, das aber in einem neuen EU Mitgliedstaat auf den Markt gebracht wird, ohne dort durch den Patentinhaber geschützt zu sein. Und dies umso mehr, wenn es um das Inverkehrbringen von Arzneimitteln geht.
Die Hintergrundfakten
Klägerin des Ausgangsverfahrens um die Arznei Enbrel® und das darin enthaltene Protein Etanercept ist die Pfizer Ireland Pharmaceuticals. Enbrel® ist ein erfolgreiches Medikament für die Behandlung von Arthritis bei Erwachsenen und auch Kindern und wird in Deutschland und vielen anderen Ländern von Pfizer Pharmaceuticals vertrieben. Das irische Pharmaunternehmen hält die Patentrechte an dem Arzneimittel und war als Inhaberin eines erweiterten Schutzzertifikats (ESZ) für das Protein Etanercept eingetragen. Ein ESZ verlängert den Patentschutz nach Ablauf des Patents für eine gewisse Zeit. Erteilt wurde Pfizer Pharmaceuticals das ESZ für die Bundesrepublik Deutschland, auf der Grundlage eines europäischen Grundpatents, das 1990 angemeldet wurde.
Die Orifarm GmbH, die Beklagte des Ausgangsverfahrens, ist ein Unternehmen der dänischen Orifarm Group, die als Parallelimporteurin Arzneimittel aus Ländern mit niedrigerem Preisniveau unter anderem auch nach Deutschland einführt.
Der Sachverhalt des Verfahrens
Der Konflikt zwischen Pfizer Pharmaceuticals und Orifram entzündet sich um den Zeitpunkt, zu dem Orifarm mit der Einfuhr des Arzneimittels Enbrel® aus den osteuropäischen neueren EU Mitgliedsstaaten begann. Denn der Zeitpunkt lag nach Ablauf der ursprünglich festgesetzten Laufzeit des ESZ, aber noch vor dem Ablauf der verlängerten Laufzeit; Pfizer war eine pädiatrische Verlängerung des ESZ gewährt worden (gemäß Verordnung Nr. 1901/2006), also speziell für die Behandlung von Kindern.
2015 kam diese Auseinandersetzung vor das Landgericht Düsseldorf. In dem Verfahren wies Orifam darauf hin, Enbrel® in den betreffenden neuen Mitgliedstaaten rechtmäßig erworben zu haben. Der dänische Paralleimporteur berief sich auf die Warenverkehrsfreiheit innerhalb der Europäischen Union und erhob den Erschöpfungseinwand. Dagegen wehrte sich Pfizer Pharmaceuticals mit dem Hinweis auf den sogenannten Begriff „Besonderer Mechanismus“. Diese Vertragsklausel in der Beitrittsakte der neueren EU Mitgliedsstaaten sieht vor, dass sich Inhaber eines Patents oder eines ESZ unter bestimmten Voraussetzungen auf das Recht berufen könnten, sich der Einfuhr von Arzneimitteln aus den betreffenden neuen Mitgliedstaaten zu widersetzen.
Gerade weil es sich bei dem Vertragspunkt „besonderer Mechanismus“ um ein mächtiges Werkzeug in Patentauseinandersetzungen handelt, wird dieses Recht in der Regel sehr eng ausgelegt. Denn wenn in den neueren EU Mitgliedstaaten ein entsprechender Patentschutz für pharmazeutische Erzeugnisse zum Zeitpunkt der Beantragung des Patents oder des ESZ nicht verfügbar war, sieht die Beitrittsakte eine Ausnahme von der Warenverkehrsfreiheit vor. Dieser Fall liegt hier vor, denn im August 1990 gab es in keinem der 13 neuen Mitgliedstaaten, die der EU 2004, 2007 und 2012 beigetreten sind, entsprechende Regelungen für den Schutz von Arzneimitteln oder bestimmten therapeutischen Indikationen.
Schlussantrag des Generalanwalts
Wegen dieser für die gesamte EU wichtigen Entscheidung bat das Düsseldorfer Landgericht den Europäischen Gerichtshof um sein Urteil.
Und der Generalanwalt urteilte in seinem Schlussantrag zu den vier vorgelegten Detailfragen des Düsseldorfer Landgerichts in der letzten Woche so:
Frage: Kann sich Pfizer Pharmaceuticals für die Ausnahme der Warenverkehrsfreiheit auf das ESZ berufen?
Antwort des Generalanwalts: Ja.
Zu der Zeit, als sie das ESZ in Deutschland beantragte – also am 26. Juni 2003 – gab es in allen entsprechenden Beitrittsstaaten bis auf Kroatien bereits Regelungen für den Erhalt eines ESZ. Aber: es geht nicht um das grundsätzliche Vorhandensein eines ESZ, sondern um die Frage, ob genau das auf Enbrel bezogene ESZ in den Beitrittstaaten erlangt werden konnte. Das wiederum war nicht der Fall, weil es das zugrundeliegende Grundpatent in keinem dieser Staaten gab.
Hier schränkt der Generalanwalt aber noch einmal deutlich ein: Wenn sich der Inhaber des deutschen Patents zu der Zeit der ESZ Erteilung einfach nicht die Mühe gemacht hatte, auch in den neuen Beitrittsstaaten Patentschutz anzustreben, obwohl dieser Schutz erhältlich gewesen wäre, kann sich nicht auf den Besonderen Mechanismus berufen. Denn dann wäre es ja eine bewusste Entscheidung des deutschen Patentinhabers, auf ein Grundpatent in den Beitrittsstaaten zu verzichten.
Frage: muss der erforderliche Patentschutz bereits zum Zeitpunkt der Patentbeantragung in Deutschland verfügbar gewesen sein oder können später eingeführte Rechtsvorschriften als ausreichend angesehen werden? (Einige der neuen Beitrittsländer führten Monate oder Jahre nach 1990 Patentschutz für Arzneimittel ein.)
Antwort des Generalanwalts: Ja und nein, später eingeführte REchtvorschriften sind nicht ausreichend.
Denn das entscheidende Datum kann nicht nach dem Tag der Offenlegung der deutschen Patentanmeldung liegen, da mangels Neuheit ab diesem Zeitpunkt eine Patentanmeldung, auch in einem Beitrittsstaat, keinen Erfolg mehr hätte.
Frage: Die pädiatrische Verlängerung des ESZ ist nicht ausdrücklich in den Bestimmungen zum „Besonderen Mechanismus“ genannt. Gilt die pädiatrische Verlängerung trotzdem?
Antwort des Generalanwalts: Ja.
Die akzessorische Natur der pädiatrischen Verlängerung würde durch ihre Nennung in Art. 13 („Laufzeit des Zertifikats“) Abs. 3 der Verordnung Nr. 469/2009 über das ESZ bestätigt, erläutert der Generalanwalt.
Frage: Gilt die pädiatrische Verlängerung des ESZ auch in Kroatien?
Denn in Kroatien trat der „Besondere Mechanismus“ erst nach Inkrafttreten der der ESZ Verordnung Nr. 1901/2006 in Kraft. Kroatien trat erst im Jahr 2013 der Union bei – anders als in den übrigen vor Januar 2007 beigetretenen Mitgliedstaaten (Tschechische Republik, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Polen, Slowenien, Slowakei, Bulgarien und Rumänien).
Antwort des Generalanwalts: Ja, für Kroatien wird kein Unterschied gemacht.
Denn würde ein Beitrittsstaat anders behandelt als die anderen, könnten Paralleleinfuhren durch diesen Staat geleitet werden; damit entstünde eine Lücke im Patentschutz der Europäischen Union, die letztlich den durch den Besonderen Mechanismus der anderen Beitrittsakte geschaffenen Schutz zunichtemachen würde, urteilt der Generalanwalt des EuGH.
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