Wann genau ist eine Erfindung eigentlich neu? Oft entscheidet ja schon eine kleine Veränderung, ob eine technische Verwendung verbessert werden kann. Das Europäische Patentamt hat zu diesen Fragen kürzlich über die Anforderungen an die Neuheit eines Patentanspruchs entschieden.
Anforderungen an Neuheit am praktischen Beispiel
Vorgelegt war das Steitpatent der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts. In der Sache ging es um einen Klappverschluss mit einem genau beschriebenen Verschlussteil. Die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts hat in der Entscheidung T 0912/14 weitere Anforderungen an die Neuheit eines Patentanspruches beschrieben.
Anspruch 1 des Streitpatentes wird wie folgt aufgeführt:
„Klappverschluss mit einem Verschlussunterteil (10) und einem Klappdeckel (12), der mittels wenigstens eines Filmscharniers (14) an das Verschlussunterteil (10) angelenkt ist, wobei der Klappdeckel (12) und das Verschlussunterteil (10) ferner über zumindest ein Spannband (24, 26) verbunden sind, dadurch gekennzeichnet, dass der maximale Abstand zwischen dem Spannband (24, 26) und dem unmittelbar daneben angeordneten Filmscharnier (14) in der sich um eine zentrale Längsachse (28) des Klappverschlusses (1) erstreckenden Umfangsrichtung kleiner oder gleich 0,8 mm ist und der minimale Abstand größer oder gleich 0 mm ist.“
Die Kammer stellt zunächst klar, dass dieser Abstandsangabe (inkl. 0mm) nicht zu entnehmen sei, dass es sich bei Spannband und Filmscharnier um ein einzelnes, durchgängig gearbeitetes Stück, also keiner integralen miteinander verbundenen Form, handele. Vielmehr sei dieser Beschreibung lediglich zu entnehmen, dass beide Teile in der Umfangsrichtung Kontakt haben können oder dass sich ihre jeweiligen Ränder in der Draufsicht überlappen.
Insofern sei der mit dem Anspruch des Streitpatents gegenüber desjenigen in einer älteren Offenbarungsschrift neu, in der das entsprechende Gelenk lediglich einstückig ausgebildet ist.
Wichtiges Merkmal des Anspruches ist der Abstand
In einer der Figuren einer weiteren Offenbarungsschrift sei ebenfalls ein Abstand zwischen Verschluss und Scharnier eingezeichnet. Dabei fällt in dieser Figur der eingezeichnete Abstand kleiner als die Dicke des für das Scharnier verwendeten Materials aus. In der dazugehörigen Beschreibung befinden sich zwar Angaben zu der Idealgröße bzw. –dicke der jeweils für Scharnier und Deckel verwendeten Materialien. Diesen Angaben seien allerdings so allgemein gehalten, dass sie sich nicht auf die in der Offenbarungsschrift enthaltene Figur beziehen könne. Vielmehr sei der Beschreibung mitnichten Angaben zu entnehmen, welcher Abstand für die in der Offenbarungsschrift beschriebenen Erfindung konkret vorgesehen sei. Denn bei der in der Offenbarung verwendeten Zeichnung handele es sich lediglich um eine schematische Darstellung, nicht um eine maßstäbliche Wiedergabe der Konstruktionselemente.
Mit dem Einspruch wird auch der Anspruch 12 des Streitpatents mit demselben Argument angegriffen, dass Spannband und Scharnier einstückig ausgebildet und die Erfindung darüber hinaus nicht neu sei.
Der maßgebliche Teil des Anspruches 12 lautet wie folgt: „Spritzgussform für […][einen] Klappverschlusses, wobei die Spritzgussform ein erstes Formteil und ein zweites Formteil aufweist und wobei das erste Formteil die Negativkontur des […] Spannbandes (24 bzw. 26) ausbildet, der dem Filmscharnier (14) […] benachbart bzw. zugewandt ist, und wobei das zweite Formteil die Negativkontur des […] Filmscharniers (14) ausbildet, der dem Spannband (24 bzw. 26) in der sich um die zentrale Längsachse (28) des Klappverschlusses (1) erstreckenden Umfangsrichtung (30) benachbart bzw. zugewandt ist, wobei […] [der] maximale Abstand zwischen dem Spannband (24, 26) und dem unmittelbar daneben angeordneten Filmscharnier (14) in der sich um eine zentrale Längsachse (28) des Klappverschlusses (1) erstreckenden Umfangsrichtung kleiner oder gleich 0,8 mm ist und der minimale Abstand größer oder gleich 0 mm ist.“
Wirkung der Erfindung durch die Anordnung?
Die Kammer legt auch diesen Anspruch so aus, dass es sich keineswegs um eine Formulierung des verwendeten Materials als einstückig integral miteinander verbunden handele. Die diesem Anspruch entgegen gehaltenen Offenbarungsschriften haben ebenso lediglich schematische Figuren enthalten, sodass im Ergebnis auch Anspruch 12 als neu anzusehen sei.
Die erfindungsgemäße Wirkung der Ansprüche 1 und 12 des Streitpatents liege jeweils darin, dass sich durch die Anordnung das Risiko verringert, dass das Scharnier durch wiederholtes Öffnen des Verschlusses reißt. Die zu lösende Aufgabe bestünde daher darin, „die Betriebssicherheit des bekannten Verschlusses zu erhöhen“.
Die Beschwerdeführer halten dieser Auffassung entgegen, dass durch die streitgegenständliche Ausgestaltung des Verschlusses keine technische Aufgabe gelöst werde sondern nur wirtschaftliche Vorteile liefere. Die Kammer ist anderer Ansicht und führt aus, dass die formulierte Aufgabe einen Ingenieur mit Erfahrung in der Kunststoffteilkonstruktion sofort ableitbar sei, da bei Filmscharnieren schräg verlaufende Zugkräfte möglichst zu minimieren seien.
Da keine Entgegenhaltung vorläge, „bei der der maximale Abstand zwischen Scharnier und Spannband in der sich um eine zentrale Längsachse des Klappverschlusses erstreckenden Umfangsrichtung als entscheidend für die Betriebssicherheit eines Klappverschlusses thematisiert“ werde, hätte ein auf diesem Gebiet tätiger Fachmann somit keine Veranlassung, Scharnier und Spannband entsprechend Anspruch 1 des Streitpatents herzustellen, d.h. Abstand kleiner oder gleich 0,8mm).
Die Beschwerdeführer sind weiterhin der Ansicht, dass es keine Beweise für eine verbesserte Betriebssicherheit eines Verschlusses gem. Anspruch 1 gäbe. Es handele sich daher bei der im Streitpatent beschriebenen Lösung lediglich um die Zurverfügungstellung einer Alternative. Da die Beschwerdeführer aber nicht dargelegt haben, dass ein erfindungsgemäßer Abstand zum Fachwissen eines Fachmannes gehöre, weist die Kammer diese Argumentation zurück.
Da das entscheidende Merkmal des Anspruches 12 der Abstand ist, schlussfolgert die Kammer bzgl. der Spritzgießform wie zu Anspruch 1.
Im Ergebnis geht die Kammer sowohl für Anspruch 1 als auch für Anspruch 12 des Streitpatents jeweils von einem erfinderischen Schritt aus.
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Quelle:
EPO: T 0912/14 () of 14.9.2017
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