Welche Regeln gelten für ein Produkt, das in einem alten EU Mitgliedstaat geschützt ist, das aber in einem neuen EU Mitgliedstaat ohne dortigen Patentschutz auf den Markt gebracht wird? Und was gilt, wenn sie in diesem Mitgliedstaat gar nicht patentierbar sind? Der EuGH urteilte heute zum Spannungsfeld zwischen Patentrecht, Parallelimport und Warenverkehrsfreiheit- vor allem in neueren Beitrittsstaaten der EU.
Klägerin des Ausgangsverfahrens um die Arznei Enbrel® ist die Pfizer Ireland Pharmaceuticals. Der Konflikt zwischen Pfizer Pharmaceuticals und dem beklagten dänischen Parallelimporteuer Orifram eskalierte, als Orifarm mit dem Parallelimport des Arzneimittels Enbrel® aus osteuropäischen neueren EU Mitgliedsstaaten begann – das zu diesem Zeitpunkt durch eine Laufzeitverlängerung auf Pfizers Patent geschützt war.
2015 kam diese Auseinandersetzung vor das Landgericht Düsseldorf. In dem Verfahren berief sich Orifarm auf die Warenverkehrsfreiheit innerhalb der Europäischen Union und den Grundsatz der gemeinschaftsweiten Erschöpfung. Demnach können die mit einem Patent oder einem ESZ verbundenen Ausschließlichkeitsrechte nicht geltend gemacht werden, wenn die durch dieses Patent geschützten Produkte in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig (vom Patentinhaber selbst oder mit seinem Einverständnis) auf den Markt gebracht wurden. Dies gilt sogar dann, wenn die Produkte aus einem Mitgliedstaat eingeführt werden, in dem sie nicht patentierbar sind.
Dagegen wehrte sich Pfizer Pharmaceuticals mit dem Hinweis auf den sogenannten Begriff „Besonderer Mechanismus“.
Inhaber eines Patents oder eines erweiterten Schutzzertifikats (ESZ) können sich damit auf das Recht berufen, sich der Einfuhr von Arzneimitteln aus den neueren EU Mitgliedstaaten zu widersetzen. Denn wenn in den neueren EU Mitgliedstaaten ein entsprechender Patentschutz für pharmazeutische Erzeugnisse zum Zeitpunkt der Beantragung des Patents oder des ESZ nicht verfügbar war, sieht diese Vertragsklausel „Besonderer Mechanismus“ in der Beitrittsakte eine Ausnahme von der Warenverkehrsfreiheit vor. Allerdings wird dieses Recht in der Regel sehr eng ausgelegt. Gleichwohl liegt es hier vor. Denn im August 1990 gab es in keinem der 13 neuen Mitgliedstaaten, die der EU 2004, 2007 und 2012 beigetreten sind, entsprechende Regelungen für den Schutz von Arzneimitteln oder bestimmten therapeutischen Indikationen.
Auf später eingeführte Rechtsvorschriften können sich die neueren Beitrittsstaaten der EU nicht berufen. Denn das entscheidende Datum kann nicht nach dem Tag der Offenlegung der erfolgten Patentanmeldung liegen, da mangels Neuheit ab diesem Zeitpunkt eine Patentanmeldung keinen Erfolg mehr hätte, auch nicht in einem neueren EU Mitgliedstaat.
Kroatien beispielsweise trat erst 2013 der Union bei, dennoch gelten auch für dieses Land die früheren Rechtvorschriften. Denn würde ein Beitrittsstaat anders behandelt als die anderen, könnten Paralleleinfuhren durch diesen Staat zur Regel werden; damit entstünde eine Lücke im Patentschutz der Europäischen Union.
Heutiges Urteil bestätigt die Ausnahme von der Warenverkehrfreiheit
Im heutigen Urteil bestätigt der EuGH die Argumentation von Pfizer Pharmaceuticals und stellt fest, dass die Ausnahme von der Warenverkehrsfreiheit gilt, „wenn die Rechtsordnungen der neuen Mitgliedstaaten die Möglichkeit der Erlangung eines entsprechenden Schutzes nicht zum Zeitpunkt der Anmeldung des Grundpatents, sondern zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Grundpatentanmeldung und/oder der Beantragung des Ergänzenden Schutzzertifikats im Einfuhrmitgliedstaat vorsahen, so dass es für den Inhaber unmöglich war, in den Ausfuhrstaaten ein Patent und ein entsprechendes Ergänzendes Schutzzertifikat zu erlangen.“
Mit seinem Urteil folgt der EuGH der Vorentscheidung durch den Generalanwalt vom Februar 2018 – wir berichteten (Info Blog: Pfizer Pharmaceuticals siegreich: Generalanwalt des EuGH bestätigt Ausnahme der Warenverkehrsfreiheit). Insbesondere zu dem wirtschaftlichen Argument der Beklagten des Ausgangsverfahren äußerte sich der EuGH ebenfalls: Paralleleinfuhren seien nach dem Unionsrecht im Sinne der Preissenkung zwar wünschenswert, aber dies ändere nicht die Auslegung der Besonderen Mechanismen, da diese zum Ausgleich zwischen freiem Warenverkehr und wirksamen Schutz für Grundpatente geschaffen worden sei. Damit wurden wichtige Fragen zum Patentrecht in der EU beurteilt: Grenzen der Warenverkehrsfreiheit, die Rechte eines Patentinhabers und die Kontrolle des Parallelimports und des Inverkehrbringens in die EU.
Benötigen auch Sie Unterstützung beim Schutz Ihrer Patente oder im Wettbewerbsrecht?
Nutzen Sie doch noch heute einen ersten und unverbindlichen Rückruf-Termin mit uns!
Quellen:
Schreiben Sie einen Kommentar