Nach zwei wegweisenden Urteilen des EuGH zur Berechnung einer SPC Gültigkeitsdauer steht das Recht auf einen Rechtsbehelf für eine längere Gültigkeitsdauer des SPC nicht nur denjenigen zu, deren Anmeldung noch nicht abgeschlossen ist, sondern auch denjenigen, deren SPC-Gültigkeit noch nicht abgelaufen ist.
Der EuGH hatte mit einem vom ungarischen Gerichtshof eingereichten Vorabentscheidungsersuchen im Fall Incyte Corporation gegen Szellemi Tulajdon Nemzeti Hivatala über die Auslegung zu entscheiden, ob das Datum der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen eines ergänzenden Schutzzertifikats (ESZ, engl. SPC) eine neue Interpretation erfordert seit dem Urteil des EuGH im Fall Seattle Genetics.
Der Hintergrund
Grundlage der Vorabentscheidung im Fall Incyte versus Szellemi ist das frühere Urteil Seattle Genetics (C:2015:659) des EuGH. In Seattle Genetics interpretierte der EuGH Art 13.1 der SPC-Verordnung, insbesondere den Begriff „Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Europäischen Union“.
- Der EuGH stellte klar, dass das „Datum für das Inverkehrbringen des Produkts“ nicht von Staat zu Staat auf der Grundlage nationaler Gesetze festgelegt werden darf, sondern durch das Unionsrecht bestimmt sei.
- Der EuGH entschied, dass das Datum der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen der Zeitpunkt ist, zu dem der Beschluss über die Genehmigung für das Inverkehrbringen seinem Adressaten bekannt gegeben wird – nicht das Ausstellungsdatum, das in der Entscheidung angegeben ist.
Das Urteil Seattle Genetics sorgte für eine bessere Einheit zwischen den Mitgliedstaaten durch die Klärung der relevanten Daten für die Berechnung der Gültigkeitsdauer eines SPC. Gleichzeitig sorgte genau dieses Urteil für eine neue Rechtsunsicherheit. Denn viele SPCs wurden vor der Urteilsverkündung von Seattle Genetics gewährt, was zu kürzeren Laufzeiten führte als unter Berücksichtigung des Urteils Seattle Genetics. Zudem endeten für viele dieser SPC die nationalen Berufungsbedingungen. Dies führte dazu, dass die Mitgliedstaaten uneinheitlich entschieden über eine mögliche Neuberechnung.
Das SPC der amerikanischen Incyte wurde vor dem Urteil Seattle Genetics genehmigt. Daher beantragte Incyte beim Ungarischen Amt für geistiges Eigentum (HIPO) die Korrektur der Gültigkeitsdauer des SPC mit Bezug auf die neue Interpretation durch das Urteil Seattle Genetics. Der Antrag von Incyte wurde nach ungarischem Recht jedoch abgelehnt.
Vorlagefragen für die Vorabentscheidung
Das Ungarische Gericht setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH drei Fragen zur Vorabentscheidung vor:
- Ist „das Datum der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Europäischen Union“ in einem Antrag auf ein SPC falsch, wenn dieser Zeitpunkt ohne Berücksichtigung der Rechtsauslegung im Urteil Seattle Genetics (C:2015:659) festgelegt wurde?
- Ist es angemessen, das Datum des Ablaufs des SPC zu korrigieren, auch wenn die Entscheidung über die Erteilung dieses Zertifikats vor diesem Urteil getroffen wurde und die Frist für die Berufung gegen diese Entscheidung bereits abgelaufen ist?
- Ist die zur Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats befugte Behörde eines Mitgliedstaats verpflichtet, das Ablaufdatum des Zertifikats von Amts wegen zu korrigieren, dass es im Einklang mit der Rechtsauslegung gemäß dem Urteil Seattle Genetics steht?
Die Berechnung der Laufzeit von medizinischen SPCs ist in der SPC-Verordnung EC/469/2009 verankert. In Artikel 13 dieser Verordnung wird die Dauer durch zwei Stichtage bestimmt, von denen einer der Tag der Anmeldung des Basispatents und der andere der Tag der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels in der Gemeinschaft ist. Aus der Differenz der beiden wird die Dauer der SPC berechnet. Artikel 14 definiert, dass das SPC am Ende der auf der Grundlage von Artikel 13 berechneten Frist abläuft.
Identische Vorschriften für die Dauer enthält auch die PPP-Verordnung EG/1610/96 über SPCs von Pflanzenschutzmitteln. Gegen die SPC Entscheidungen der nationalen Patentämter stehen in gleicher Weise Möglichkeiten der Beschwerde zur Verfügung, wie sie im nationalen Recht gegen ähnliche Entscheidungen über nationale Patente vorgesehen sind, aber im Rahmen der Pflanzenschutzmittel gibt es eine zusätzliche Beschwerdebegründung.
Urteil Seattle Genetics muss für die SPC Gültigkeitsdauer berücksichtigt werden
Die beiden ersten Fragen bejahte der EuGH eindeutig. Für ein SPC, dessen Frist noch nicht abgelaufen ist, müsse für die Berechnung der Gültigkeitsdauer das Urteil Seattle Genetics berücksichtigt werden und ein solches SPC auch entsprechend korrigiert werden. Der Gerichtshof begründete dies mit seiner Auslegung des Datums in Seattle Genetics. Da das in der Anmeldung angegebene Datum immer das Datum der Mitteilung hätte sein müssen, müsse jedes andere Datum als falsch angesehen werden. Und gegen Entscheidungen, mit denen ein Zertifikat erteilt wird, können dieselben Rechtsbehelfe eingelegt werden, die nach einzelstaatlichem Recht gegen ähnliche Entscheidungen hinsichtlich einzelstaatlicher Patente vorgesehen sind (Art. 18 der Verordnung Nr. 469/2009). Dieses Recht gelte insbesondere auch für diejenigen, deren SPC-Frist noch nicht abgelaufen ist. Der EuGH wies darüber hinaus darauf hin, dass das Recht auf einen solchen Antrag nicht durch die Zweckbestimmung der SPC-Entscheidung eingeschränkt ist.
Zur dritten Vorlagefrage stellte der EuGH fest, dass nach ständiger Rechtsprechung dass das Unionsrecht nicht verlangt, dass eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich verpflichtet ist, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen. Dies trage zu Rechtssicherheit bei. Jedoch sei eine Verwaltungsbehörde nach dem Grundsatz der Zusammenarbeit auf einen entsprechenden Antrag hin verpflichtet, eine Entscheidung zu überprüfen, um der mittlerweile vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung der einschlägigen Bestimmung Rechnung zu tragen – wenn die betreffende Entscheidung infolge eines Urteils eines in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts bestandskräftig geworden ist und wenn sich der Betroffene, unmittelbar nachdem er Kenntnis von der besagten Entscheidung des Gerichtshofs erlangt hat, an die Verwaltungsbehörde gewandt hat.
Außerdem habe die Behörde, die den SPC gewährt, keinen Ermessensspielraum hinsichtlich der Dauer des SPC, da er vollständig durch die Kriterien der SPC-Verordnung selbst bestimmt werde.
Beratung zum Unionsrecht unabhängig von Vorlagefragen
Die Urteilsbegründung enthält auch einen interessanten Aspekt zu Vorlagefragen in der europäischen Rechtsprechung, die über Patentrecht und die Erteilung von SPC hinausgeht. Denn obwohl das ungarische Gericht ausdrücklich die Auslegung von Art. 17 Abs. 2 der PPP-Verordnung beantragt hatte, antwortete der EuGH in Bezug auf die Auslegung von Art. 18 der SPC-Verordnung. Der Umstand, dass ein einzelstaatliches Gericht sein Vorabentscheidungsersuchen unter Bezugnahme auf bestimmte Vorschriften des Unionsrechts formuliert habe, hindere den Gerichtshof nicht daran, diesem Gericht unabhängig davon, worauf es in seinen Fragen Bezug genommen hat, alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können.
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Quelle:
Curia Europe – Incyte EU:C:2017:995
Curia Europe – Seattle Genetics EU:C:2015:659
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