Kann man sich im Nichtigkeitsverfahren auf sein älteres, aber für nichtig erklärtes Design berufen, um die Neuheit oder Eigenart eines anderen Geschmacksmusters in Frage zu stellen? Der EuG urteilte über ein Design für Signalanlagen, dass im parallelen Nichtigkeitsverfahren für nichtig erklärt wurde.
Im April 2016 meldete die Anmelderin, T i D kontrolni sistemi EOOD (Bulgarien) ein EU Design zum Designschutz als Gemeinschaftsgeschmacksmuster an, das Apparate und Vorrichtungen für Signalanlagen darstellt, Signalgeräte und Lichtsignalgeräte. Schutz wurde beansprucht für „Signalgeräte“ gemäß internationaler Locarno Klassifikation für Designs.
Gegen diese Eintragung reichte im März 2018 die Streithelferin Sigmatron EOOD (Bulgarien) einen Antrag auf Nichtigkeit ein. Die Streithelferin machte insbesondere geltend, dass das angefochtene Geschmacksmuster weder neu noch mit erforderlicher Eigenart ausgestattet sei im Sinne der Art. 5 und 6 der EU Verordnung Nr. 6/2002. Außerdem stützte sie ihre Klage auf das eigene sehr ähnliche ältere Gemeinschaftsgeschmacksmuster.
Doch noch parallel zur Prüfung des Antrags auf Nichtigerklärung wurde das ältere Geschmacksmuster in einem parallelen Verfahren wegen fehlender Eigenart für nichtig erklärt (im Folgenden „Entscheidung vom 26. Juni 2018“). Erst danach, in ihrer Entscheidung vom 19. März 2019, gab die Nichtigkeitsabteilung dem Antrag auf Nichtigkeit des angefochtenen jüngeren Geschmacksmusters mit der Begründung statt, dass es keine Eigenart im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 6/2002 habe.
Die Beschwerde der Design Anmelderin T i D kontrolni sistemi EOOD wurde von der Beschwerdekammer im April 2020 zurückgewiesen (Sache R 956/2019-3, im Folgenden: angefochtene Entscheidung). Das ältere und das jüngere Gemeinschaftsgeschmacksmuster rufe keinen unterschiedlichen Gesamteindruck hervor – und das ältere Geschmacksmuster war der Öffentlichkeit im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 zugänglich gemacht worden, da ja eingetragene Designs veröffentlicht werden.
War das rechtens? T i D kontrolni sistemi EOOD klagte vor dem Europäischen Gericht und machte im Wesentlichen geltend, der Antrag auf Nichtigerklärung sei unzulässig geworden nach Nichtigkeitserklärung des älteren Gemeinschaftsgeschmacksmusters, denn es sei mit Nichtigerklärung rückwirkend aus der Rechtsordnung verschwunden.
Nichtig erklärtes Design: Basis für Infragestellung von Neuheit oder Eigenart?
Die Frage war daher, ob man sich auf ein nichtig erklärtes Design berufenen kann, um die Neuheit oder Eigenart eines anderen Geschmacksmusters in Frage zu stellen. Erst kürzlich hat der EuG in einem Fall geurteilt, bei dem es das abgelaufene Design ‚Polospieler‘ ging – abgelaufen innerhalb des Nichtigkeitsverfahrens. Der EuG urteilte darin, dass ein auf Art. 52 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 gestützter Antrag auf Nichtigerklärung einer Unionsmarke zurückzuweisen ist, wenn die Voraussetzungen für die Untersagung der Benutzung dieser Marke zum Zeitpunkt der Entscheidung des EUIPO über diesen Antrag nicht mehr erfüllt sind.
Wie also ist dieser Fall „Signalgeräte“ zu beurteilen? Kann ein für nichtig erklärtes Design als Basis dienen für Infragestellung von Neuheit oder Eigenart eines anderen Designs?
Das Europäische Gericht (EuG) bejahte das. Weder Art. 5 und 6 der Verordnung Nr. 6/2002 noch Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 2245/2002 verlangen die Eintragung des älteren Geschmacksmusters, stellte der EuG fest. Mehr noch, Artikel 6 der Verordnung 6/2002 beziehe sich auf „jedes Geschmacksmuster, das der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde“, ohne dass ein solches Geschmacksmuster „eingetragen“ sein muss.
Die Erscheinungsform eines Erzeugnisses als solche ist das entscheidende Kriterium für ein Geschmacksmuster im Sinne der Verordnung 6/2002 und nicht die Rechtsform, in der diese Erscheinungsform geschützt ist, betonte das EuG. Auch ein inzwischen für nichtig erklärtes Design erfülle die Definition und Merkmale eines Geschmacksmusters im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002.
Im vorliegenden Fall ist jedenfalls unstreitig, dass das ältere Geschmacksmuster nach seiner Eintragung im August 2015 veröffentlicht wurde, u. a. auch in Fachkreisen. Der Klagegrund, es habe keine zulässige Offenbarung des älteren Designs „Signalgeräte“ gegeben, wurde daher abgewiesen.
Eigenart des angefochtenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters
Und wie verhält es sich mit der Eigenart des angefochtenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters „Signalgeräte“? Nach ständiger Rechtsprechung ergibt sich die Eigenart eines Geschmacksmusters aus dem Gesamteindruck der Andersartigkeit oder dem Fehlen eines „Déjà-vu“ aus der Sicht des informierten Benutzers im Vergleich zum Stand der Technik innerhalb der Geschmacksmusterfamilie.
Und dies überprüfte der EuG im Vergleich des für nicht erklärten älteren Designs und des jüngeren angefochtenen Designs.
Die Merkmale der Signaleinrichtungen seien nicht allein durch ihre technische Funktion bedingt, stellte das EuG dabei fest, der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers sei folglich als hoch anzusehen. Doch die Vorderseiten der streitigen Geschmacksmuster wiesen nur geringfügige oder nicht sehr auffällige Unterschiede auf.
Spezifische technische Anforderungen beim Design
Vergebens verwies die Klägerin spezifische technische Anforderungen beim Design von Signalgeräten. Nach der in der Verordnung Nr. 6/2002 vorgesehenen Regelung ist die Erscheinungsform das bestimmende Element eines Geschmacksmusters, erläuterte das EuG; der Zweck des Geschmacksmusterrechts bestehe darin, die sichtbare (!) Erscheinungsform eines Erzeugnisses und nicht sein Design oder seine Merkmale zu schützen.
Der Vergleich des Gesamteindrucks, den die fraglichen Geschmacksmuster hervorrufen, sei in diesem Sinne nur im Hinblick auf die Vorderseite der Signaleinrichtungen vorzunehmen – und da zeige sich kein Unterschied im Gesamteindruck der Geschmacksmuster, entschied das EuG. Die Beschwerdekammer sei zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass das angegriffene Geschmacksmuster keine Eigenart im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 hat.
Die die Klage wurde daher vollständig abgewiesen – und nach dem älteren Design für Signalanlagen wurde nun auch das jüngere Design „Signalgeräte“ für nichtig erklärt.
Möchten auch Sie Design schützen oder verteidigen?
Unsere Anwälte verfügen über langjährige Expertise im Designrecht und Markenrecht sowie im gesamten Gewerblichen Rechtsschutz und sind berechtigt, Sie vor jedem Gericht zu vertreten – in Deutschland und auch international.
Nehmen Sie bei Interesse gerne Kontakt auf.
Quellen:
Urteil des EuG ‚Signalgeräte‘, EU:T:2021:613
Bild:
Schreiben Sie einen Kommentar